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Scheiternde Bündnispläne
Mit seiner Regierungserklärung vom 15. Dezember 1932 sorgte Schleicher für eine Überraschung, indem er sich vom Kapitalismus ebenso distanzierte wie vom Sozialismus. Er sei der "überparteiliche Sachwalter der Interessen aller Bevölkerungsschichten", ein "sozialer General". Er kenne nur ein Ziel: "Arbeit schaffen!" Weitere Senkungen der Arbeitseinkommen werde es nicht geben. Im Rahmen einer "Winterhilfe" sollten Fleisch und Kohle billiger werden (was einer SPD-Forderung entsprach). Mit "allen gutwilligen Kräften" im Parlament wolle er zusammenarbeiten. Der Drahtzieher der "Kamarilla" war durch die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Jahres 1932 zu der Einsicht gelangt, dass die bisherige Regierungsweise mit dem Artikel 48 WV in eine Sackgasse geführt hatte. Stabile autoritäre Verhältnisse hatten sich nicht eingestellt. Die Unzufriedenheit der Bürger mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Präsidialkabinette war bei den in immer kürzeren Abständen abgehaltenen Reichstagswahlen allein der NSDAP und der KPD - zuletzt sogar nur noch den Kommunisten - zugute gekommen. Den Ausweg sah Schleicher in einer Art Bündnis zwischen Reichswehr und Arbeiterschaft. Bereits als Mitglied der Regierung Papen hatte er (schon mit Blick auf seine eigene Kanzlerschaft) damit begonnen, bei den Arbeitnehmerflügeln von SPD, Deutscher Staatspartei (der früheren DDP), Zentrum, DNVP und NSDAP für eine parlamentarische (Tolerierungs-)Basis in Form einer "Querfront" zu werben, indem er eine Politik in Aussicht stellte, die stärker als bisher die Interessen von Arbeitern, Angestellten und Beamten berücksichtigen werde. Im Falle der NSDAP lief dieser Vorstoß - gewollt oder ungewollt - auf eine Abspaltung ihres "linken" Flügels um Gregor Strasser hinaus. Tatsächlich war Strasser dazu bereit, als Vizekanzler in die Regierung Schleicher einzutreten. Hitler gelang es mit Mühe, diese Absicht zu durchkreuzen und die Mehrheit der Parteifunktionäre hinter sich zu bringen. Strasser resignierte und trat am 8./9. Dezember 1932 von allen Ämtern zurück. Damit war die "Querfront" bereits gescheitert. Auch bei den Gewerkschaften aller Richtungen hatte diese Idee Interesse geweckt. Aber die SPD, die Schleicher misstraute, brachte den ADGB Anfang Januar 1933 endgültig von einer Zusammenarbeit mit dem General ab. Dabei vertiefte sich die bereits Anfang 1932 beim Streit um kreditfinanzierte Staatsaufträge zur Arbeitsbeschaffung eingetretene Entfremdung zwischen den Sozialdemokraten und den durch die anhaltende Krise gegenüber dem Präsidialregime anpassungsbereit gewordenen Gewerkschaften. Die Linke war jetzt gewissermaßen doppelt gespalten und demzufolge noch mehr geschwächt. Auch Schleicher kam an den Interessen des großagrarischen Reichslandbundes nicht vorbei. Zwar erfüllte er nicht dessen Wunsch nach einem umfassenden Schutz der Landwirte vor Importen und Zwangsvollstreckungen; aber per Notverordnung vom 23. Dezember 1932 wurden, um die Milchwirtschaft zu fördern, die Margarinehersteller zur Beimischung von Butter gezwungen. Heftige Proteste der Parteien, von der KPD bis zur DVP, der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften waren die Folge. Kritisierten SPD und Gewerkschaften die absehbare Verteuerung der Margarine, des billigen pflanzlichen Grundnahrungsmittels, auf das besonders Arbeiter und Arbeitslose angewiesen waren, so wandten sich RDI und DVP gegen die einseitige staatliche Bevorzugung der Landwirtschaft und fürchteten Auswirkungen auf die Lohnforderungen. Demgegenüber stieß der Ausbau der unter Papen begonnenen staatlichen Arbeitsbeschaffung überwiegend auf Zustimmung. Allgemein begrüßt wurde ein außenpolitischer Fortschritt: Am 11. Dezember 1932 erkannten die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien. Deutschlands militärische Gleichberechtigung im Grundsatz an - nach der Beseitigung des Reparationsproblems zeichnete sich eine weitere Teilrevision des Versailler Vertrages ab. Da Schleicher ohne parlamentarischen Rückhalt blieb, musste er Anfang Januar nach den Protesten gegen die Margarineverordnung bei der nächsten Reichstagssitzung mit einem Misstrauensvotum rechnen. Jetzt wollte er denselben verfassungswidrigen Weg beschreiten, den er Papen noch mit dem "Planspiel Ott" verbaut hatte. Unter strenger Geheimhaltung ließ Schleicher die Durchführung einer Serie von Notverordnungen für den "Staatsnotstand" vorbereiten: Reichstagsauflösung ohne Neuwahl; Verhängung des Ausnahmezustandes und Übertragung der vollziehenden Gewalt auf die Reichswehr im Falle eines Generalstreiks; Streikverbot für den öffentlichen Dienst sowie für lebenswichtige Betriebe unter Androhung harter Strafen; Unterdrückung der Gewerkschaften; personelle und materielle Verstärkung des konservativen Katastrophenschutzverbandes "Technische Nothilfe". Auf diese Weise wollte der Kanzler etwa bis Ende 1933, das heißt bis zum voraussichtlichen Abflauen der Wirtschaftskrise und des politischen Extremismus, diktatorisch regieren. Ob das die letzte Chance der Weimarer Republik war, Hitler zu vermeiden, wie einige Historiker glauben, ist wegen der politischen Fragwürdigkeit der Figur Schleichers zweifelhaft. Der Reichspräsident lehnte den Staatsnotstandsplan ab. Denn eine Reichstagsauflösung ohne Neuwahlen wollten Zentrum und NSDAP erklärtermaßen nicht hinnehmen, und das Risiko einer Anklage vor dem Staatsgerichtshof wegen Amtsmissbrauchs erschien Hindenburg zu hoch. Verfassungsmäßige Neuwahlen - von denen die NSDAP, ohne den Kanzlerbonus, weitere schwere Verluste zu befürchten hatte - wurden nicht erwogen. Letztlich scheiterte Schleicher an den politischen Folgen des Präsidialregimes, das er selbst heraufbeschworen hatte. Am 28. Januar 1933 blieb ihm nur noch der Rücktritt. An diesem Tag stand sein Nachfolger - der ihn und Strasser 1934 ermorden ließ - schon kurz vor seiner Ernennung: Adolf Hitler.Regierungsübertragung auf die NSDAP Das Jahr 1932 war eine ewige Pechsträhne", schrieb Joseph Goebbels am 25. Dezember 1932 in sein (1934 veröffentlichtes) Tagebuch, "man muss es in Scherben schlagen [...]. Die Zukunft ist dunkel und trübe; alle Aussichten vollends entschwunden." Nach drei großen Anläufen - Reichspräsidentenwahl im April, Reichstagswahlen im Juli und November - stand die NSDAP noch immer vor den Toren der Macht, weil Hitler von seiner Maximalpolitik nicht abzubringen war. Nach dem eindrucksvollen Wahlsieg vom Juli hatte ihr Massenanhang im November abzubröckeln begonnen. Die Parteikasse war leer. Im Dezember wurde die NSDAP von Schleichers Spaltungsversuch und Gregor Strassers Rücktritt so schwer erschüttert, dass Hitler sich vorübergehend mit Selbstmordgedanken trug. Goebbels hatte also allen Grund zum Pessimismus. Nur fünf Wochen später, am 30. Januar 1933, notierte er begeistert: "Es ist fast wie ein Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns. Der Führer arbeitet bereits in der Reichskanzlei." Diese erstaunliche Wendung lässt sich nur erklären, wenn man die Ziele und Aktivitäten derjenigen Teile der Eliten in Militär, Bürokratie und Wirtschaft in den Blick nimmt, die sich 1932/33 für Hitler einsetzten. Befürworter Hitlers Einzelne Schwerindustrielle wie Emil Kirdorf (Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat) und Fritz Thyssen (Vereinigte Stahlwerke) unterstützten bereits seit 1927 bzw. 1929 die NSDAP. Am 27. Januar 1932 hielt Hitler einen Vortrag im Düsseldorfer Industrieklub, mit dem er die meisten anwesenden Wirtschaftsvertreter stark beeindruckte, indem er die auf das Privateigentum gegründete freie Unternehmerinitiative in der Wirtschaft und das nationalsozialistische Führerprinzip in der Politik miteinander verglich und beide auf das Leistungsprinzip zurückführte. Danach war den Zuhörern klar, dass die "sozialistischen" Forderungen im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 (Gewinnbeteiligung der Arbeiter in Großbetrieben, Bodenreform, Kommunalisierung der Warenhäuser) lediglich die Partei auch für Arbeiter und kleine Mittelständler wählbar machen sollten, während Hitler in Wirklichkeit nicht daran dachte, die Stellung der Unternehmer oder gar das Privateigentum an Produktionsmitteln anzutasten. Seither flossen der NSDAP auch von dieser Seite erhebliche Spenden zu. Hitler und seine Vertrauten Hermann Göring und Heinrich Himmler bemühten sich um gute Beziehungen zu Unternehmerkreisen, weil sie wussten, dass sie ohne die Zustimmung zumindest eines Teils der Wirtschaft nicht an die Macht gelangen konnten. Ihre Kontakte verdichteten sich im Juni 1932 zur Bildung zweier, miteinander verzahnter, wirtschaftspolitischer Beraterstäbe. Der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht rief die "Arbeitsstelle Dr. Schacht" ins Leben, für die er einige namhafte Industrielle und Bankiers gewann. Der süddeutsche Chemie-Unternehmer Wilhelm Keppler leitete den am 20. Juni 1932 gegründeten "Studienausschuss für Wirtschaftsfragen", in dem elf Großindustrielle, Bankiers und Großagrarier mitarbeiteten. Vor allem der "Keppler-Kreis" bildete im Herbst und Winter 1932 die "Keimzelle für wichtige Grundsatzentscheidungen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik, und zwar im Sinne der Großwirtschaft" (Dirk Stegmann). Als das Institut für Konjunkturforschung Ende Oktober "erste Anzeichen für eine konjunkturelle Besserung" meldete und die NSDAP bei der Novemberwahl erhebliche Verluste erlitt, schien eine Regierung Hitler in weite Ferne zu rücken. Dies veranlasste 22 NSDAP-nahe Vertreter von Schwerindustrie, Großlandwirtschaft, Handel, Schifffahrt und Banken (darunter acht Mitglieder des Keppler-Kreises) am 19. November 1932 zu einer Eingabe an den Reichspräsidenten. Darin forderten sie, endlich "dem Führer der größten nationalen Gruppe" die "Leitung eines mit den besten sachlichen und personellen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts" zu übertragen. Die Eingabe blieb erfolglos. Im Dezember 1932 alarmierte Schleichers NSDAP-feindlicher, scheinbar gewerkschaftsfreundlicher Kurs ("Staatssozialismus") vollends diejenigen nationalkonservativen Kräfte in Wirtschaft, Militär und Bürokratie, die Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wünschten, weil sie glaubten, ihre alten Ziele - autoritäre (monarchistische) Umgestaltung des Staates, dauerhafte Ausschaltung von KPD, SPD und Gewerkschaften, Abbau der steuerlichen und sozialstaatlichen Belastungen der Wirtschaft, schnelle Überwindung des Versailler Vertrages, Aufrüstung - nur noch mit Hilfe der nationalsozialistischen Massenbewegung verwirklichen zu können. Dass Hitler kein Monarchist war, sondern eine "Führerdiktatur" anstrebte, und dass auch er sozialpolitische Interessen der Arbeitnehmer nicht gänzlich ignorieren konnte, nahmen sie in Kauf, zumal sie glaubten, die NSDAP so "einrahmen" und "zähmen" zu können, dass sie im Sinne ihrer konservativen Bündnispartner regieren musste und sich selbst dabei politisch "abnutzen" würde. Bündnis zwischen Papen und Hitler Hitlers Fürsprecher besaßen keinen direkten Zugang zum Reichspräsidenten, der seit der Ausschaltung des Reichstages allein über den Reichskanzler entschied. Dieses Problem lösten sie mit Hilfe Franz von Papens, der nach wie vor das volle Vertrauen Hindenburgs besaß und als Einziger in der Lage war, dessen Misstrauen gegenüber Hitler zu zerstreuen. Trotz seiner schlechten Erfahrungen mit dem NSDAP-Führer wechselte Papen nach dem Ende seiner Kanzlerschaft in das Lager der Hitler-Befürworter und machte sich zu deren Verhandlungsführer, weil er darin eine Chance sah, in die Regierung zurückzukehren. Umgekehrt überwand Hitler jetzt seine Abneigung gegen Papen, da er nach der Strasser-Krise erkannte, dass sich die NSDAP in einer desolaten Lage befand, und er taktische Kompromisse machen musste, wenn er an die Macht gelangen wollte. Am 16. Dezember 1932 hielt Papen im Berliner Herrenklub eine Rede zum Thema "Neuer Staat". Unmittelbar danach bot ihm der Vorsitzende des Kölner Herrenklubs, der Bankier Kurt Freiherr von Schröder, Mitglied des "Keppler-Kreises" und der "Arbeitsstelle Dr. Schacht", die Vermittlung eines Gesprächs mit Hitler an. Vorher hatte er sich "mit einer Anzahl von Herren der Wirtschaft" beraten. Am 4. Januar 1933 trafen sich Papen und Hitler im Kölner Privathaus des Bankiers zu einer Unterredung, die man nicht zu Unrecht als "Geburtsstunde des Dritten Reiches" (Karl Dietrich Bracher) bezeichnet hat. Denn wie Schröder, der bei dem Gespräch nur zuhörte, 1947 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess eidesstattlich erklärte, erzielten der NSDAP-Führer und der Hindenburg-Vertraute "ein prinzipielles Abkommen" über Personal und Politik einer Regierung Hitler-Papen-Hugenberg (Letzterer musste dafür erst noch gewonnen werden), die möglichst schnell das Kabinett Schleicher ablösen sollte. Als Reichskanzler wollte Hitler unter anderem für "die Entfernung aller Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden von führenden Stellungen" und die "Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Leben" sorgen. Papen sollte Vizekanzler werden. Zur Klärung von Einzelheiten wurden weitere Besprechungen verabredet. Folgt man Schröder, so zielten zu diesem Zeitpunkt die "allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft" auf einen "starken Führer", der dauerhaft regieren, ihnen die "Angst vor dem Bolschewismus" nehmen und eine "beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland" schaffen sollte. Auch seien von ihm umfangreiche Staatsaufträge erwartet worden. Demgegenüber hat die neuere historische Forschung ergeben, dass Ende 1932/Anfang 1933 keineswegs die gesamte Wirtschaft hinter Hitler stand. Vielmehr ging in dieser Frage ein Riss durch die Unternehmerschaft - während sich große Teile der besonders krisengeschüttelten Schwerindustrie an Rhein und Ruhr (Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung) der NSDAP zuwandten, setzten die übrigen Industrien (Maschinenbau, Elektrotechnik, Optik, Chemie, Pharmazie und andere) überwiegend auf die Reichskanzler Papen und Schleicher (was Kritik an deren Politik nicht ausschloss). Auch die Banken nahmen keineswegs eine einheitliche Haltung ein. Hitlers Ernennung zum Regierungschef erfolgte also "bei gespaltener Industriefront" (Reinhard Neebe). Sondierungsgespräche In dem politischen Dreieck NSDAP (Hitler, Göring, Frick) - Papen/Hindenburg/"Kamarilla" - DNVP/Stahlhelm (Hugenberg, Duesterberg) fanden unter Einschluss von einigen Industriellen Sondierungsgespräche statt. Am 9. Januar 1933 gab Hindenburg seine Zustimmung zu Verhandlungen Papens (hinter dem Rücken des amtierenden Kanzlers) über eine Koalitionsregierung unter Beteiligung der NSDAP, aber mit Papen als Reichskanzler. Zwei Tage später kam es zu Spannungen zwischen Hindenburg und Schleicher, als sich das Präsidium des Reichslandbundes über den "Agrarbolschewismus" des Kanzlers beschwerte - Schleicher hegte im Osten ähnliche Siedlungspläne wie Brüning. Am 17. Januar verhandelte Hitler mit Hugenberg; dabei lehnte der DNVP-Führer einen nationalsozialistischen Reichskommissar im preußischen Innenministerium und vor allem eine Reichstagsneuwahl ab. Beides aber forderte Hitler, weil er die Verfügungsgewalt der Nationalsozialisten über die preußische Polizei anstrebte und auf eine rechte Mehrheit hoffte, die ihm zu dem geplanten "Ermächtigungsgesetz" verhelfen sollte. Vier Tage später entzog die DNVP Schleicher ihre parlamentarische Unterstützung, was dessen Stellung weiter schwächte. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Reichspräsident davon beeindruckt, dass ihm Personen von Rang und Namen, denen er sich verbunden fühlte, schriftlich oder mündlich die Bildung einer Regierung Hitler aus Stahlhelm, DNVP und NSDAP empfahlen - so der ehemalige Kronprinz Wilhelm, Gutsnachbar Oldenburg-Januschau und der alte Regimentskamerad General Werner von Blomberg (der schon länger der NSDAP nahe stand, was Hindenburg freilich nicht wusste). Der Durchbruch wurde am Sonntag, dem 22. Januar 1933, bei einem Gespräch in Berlin im Hause des nationalsozialistischen Spirituosen-Großhändlers (und späteren Außenministers) Joachim von Ribbentrop erzielt, an dem Hitler, Göring und Frick, Papen, Meissner und Oskar von Hindenburg teilnahmen. Dabei konnten der Staatssekretär und der Sohn des Reichspräsidenten für Hitler gewonnen werden. Als Schleicher am 28. Januar zurücktrat, war der Widerstand des Reichspräsidenten gegen Hitlers Kanzlerschaft weitgehend überwunden. Hindenburgs Bedingung, von Blomberg müsse Reichswehrminister werden, war dem NSDAP-Führer nur recht. Hitler wird Reichskanzler Am 29. Januar 1933 versammelten sich 100000 SPD-Anhänger, begleitet von Schmährufen kommunistischer Zuschauer, zu einer Großkundgebung im Berliner Tiergarten unter dem Motto "Berlin bleibt rot!" Aber am selben Vormittag einigten sich Hitler, Göring und Papen darauf, dass Papen Reichskommissar für Preußen, Göring kommissarischer preußischer Innenminister werden sollte. Der frühere thüringische NSDAP-Minister Wilhelm Frick war als Reichsinnenminister vorgesehen. Am Nachmittag sprach Papen mit Hugenberg und den beiden Stahlhelm-Führern Seldte und Duesterberg. Hugenberg war noch immer gegen Neuwahlen; aber das Angebot Hindenburgs, Doppelminister für Wirtschaft und Landwirtschaft im Reich und in Preußen zu werden, fand er verlockend. Seldte wünschte sich das Arbeitsministerium; nur Duesterberg blieb wegen der bei der Reichspräsidentenwahl erlittenen Diffamierung durch die NSDAP distanziert. Nachdem auch mehrere Mitglieder des Schleicher-Kabinetts ihre Mitarbeit angeboten hatten, war die Ministerliste so gut wie komplett. Letztendlich wurde Hindenburg durch den "Osthilfe-Skandal" und durch Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch zu schnellem Handeln veranlasst. Seit dem 19. Januar 1933 untersuchte der Haushaltsausschuss des Reichstages auf Betreiben des Zentrums Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe und Verwendung von Staatsgeldern für die ostelbische Landwirtschaft. Auch Hindenburgs Freund Oldenburg-Januschau waren offenbar mehr Mittel bewilligt worden, als ihm zustanden. Sogar der Reichspräsident selbst kam ins Gerede, als bekannt wurde, dass er Gut Neudeck 1927 gleich auf den Namen seines Sohnes hatte eintragen lassen, um diesem die Erbschaftssteuer zu ersparen - ein legaler, aber anrüchiger Steuertrick, der Hindenburgs persönliche Integrität infrage stellen konnte. Umso mehr fürchtete der Reichspräsident, der sich stets für die Gutsbesitzer eingesetzt hatte, in den "Osthilfe-Skandal" hineingezogen zu werden. Durch die Einbindung der Zentrumspartei in eine Regierung Hitler-Papen-Hugenberg, notfalls auch durch die vom NSDAP-Führer gewünschte Reichstagsauflösung, ließen sich weitere Untersuchungen des Haushaltsausschusses unterbinden. So zerstreute Papen Hindenburgs Bedenken gegen Hitler endgültig durch die Zusicherung, sich um den Eintritt des Zentrums in die Koalition zu bemühen, das heißt eine parlamentarische Mehrheitsregierung anzustreben, die ohne den Artikel 48 WV auskam. Daher blieb das Justizressort zunächst unbesetzt. Am Abend des 29. Januar 1933 erfuhren Hitler und Goebbels von Gerüchten über einen bevorstehenden Militärputsch. Angeblich planten Schleicher und der Chef der Heeresleitung, General von Hammerstein, die Verhaftung des Reichspräsidenten mit Hilfe der Potsdamer Garnison, um die Bildung einer neuen Regierung zu verhindern. Hitler ließ Papen und Meissner informieren, die dafür sorgten, dass der am nächsten Morgen in Berlin eintreffende General von Blomberg sofort zu Hindenburg gebracht und als Reichswehrminister vereidigt wurde - ein verfassungswidriger Vorgang, weil ein entsprechender Vorschlag des (noch gar nicht ernannten) Reichskanzlers fehlte. Die künftigen Regierungsmitglieder waren am 30. Januar 1933 um 10.45 Uhr zum Reichspräsidenten bestellt. Noch immer wehrte sich Hugenberg gegen eine Reichstagsauflösung. Papen setzte ihn mit dem Hinweis auf den angeblich drohenden Militärputsch unter Druck; Hitler versprach ihm, auch nach Neuwahlen keinen Minister zu entlassen. Hugenberg blieb bei seinem Nein, ging aber doch mit den anderen mit, als Meissner drängte, man könne den Reichspräsidenten nicht länger warten lassen. Um 11 Uhr leisteten Hitler, Göring und Frick, Papen, Hugenberg und weitere vier parteilose konservative Minister den Amtseid auf die Weimarer Verfassung. Oberflächlich betrachtet waren die drei Nationalsozialisten in der Regierung tatsächlich "eingerahmt": durch den Reichspräsidenten, Vertreter des Stahlhelm, der DNVP und durch die parteilosen Fachminister. Aber die NSDAP besaß strategisch wichtige Schlüsselstellungen: Reichskanzler Hitler leitete die Kabinettssitzungen und bestimmte die "Richtlinien der Politik" (Art. 56 WV), Innenminister Frick war unter anderem in Fragen der inneren Sicherheit zuständig für die Vorbereitung und Durchführung von Gesetzen bzw. Notverordnungen (zum Beispiel Zeitungs-, Versammlungs- und Parteienverbote). Dem Minister ohne Geschäftsbereich Göring unterstand mit dem preußischen Innenministerium zugleich die Polizei des größten deutschen Landes. Auch falls Papen die Sympathien des Reichswehrministers von Blomberg für die NSDAP nicht bekannt waren, zeugt seine Äußerung gegenüber einem konservativen Kritiker von einem kaum glaublichen Realitätsverlust: "Was wollen Sie denn? Ich habe das Vertrauen Hindenburgs. In zwei Monaten haben wir Hitler so in die Ecke gedrückt, dass er quietscht." Die NSDAP benötigte nicht einmal ein halbes Jahr, um den "Rahmen" zu sprengen. Durchlöchern konnte sie ihn schon am Tag nach der Regierungsbildung, als Hitler zum Schein mit dem Zentrumsführer Kaas verhandelte. Mit der unannehmbaren Forderung nach einer einjährigen Vertagung des Reichstages brachte er das Gespräch zum Scheitern. Danach bat er Hindenburg um die Auflösung des Parlamentes, da mit dem gegenwärtigen Reichstag nicht regiert werden könne. Der Präsident möge sich keine Sorgen machen - diese Neuwahlen, so versprach er doppeldeutig, würden "die letzten" sein. Hindenburg stimmte zu und erteilte am 1. Februar 1933 die Auflösungsorder. Ohnmacht der Hitler-Gegner Die Gegner der NSDAP waren über Hitlers Ernennung zum Reichskanzler bestürzt, aber eine gemeinsame Aktion brachten sie nicht zustande. Die gespaltene Linke war gelähmt. Die KPD rief zum Generalstreik auf und schlug der SPD die Bildung einer "Einheitsfront" vor. Doch die Sozialdemokraten sahen auch jetzt keine Basis für eine Zusammenarbeit - frühere kommunistische Einheitsfrontangebote hatten stets das erklärte Ziel verfolgt, die sozialdemokratischen Arbeiter von ihrer Führung zu trennen, und noch immer kämpfte die KPD für ein "Sowjetdeutschland". Die SPD beschränkte sich darauf, ihre Mitglieder und Anhänger zur Bewahrung von "Kaltblütigkeit, Entschlossenheit, Disziplin und Einigkeit" aufzurufen und die neue Regierung vor Verfassungsbrüchen zu warnen. Papens Preußenschlag hatte die Sozialdemokratie entscheidend geschwächt, und seit dem "Querfront"-Streit war ihr Verhältnis zum ADGB getrübt. Für die Gewerkschaften kam ein Generalstreik so wenig infrage wie im Juli 1932. Von der Zentrumspartei, deren führende Politiker seit Herbst 1930 Koalitionen mit der NSDAP ernsthaft in Betracht zogen, war Widerstand nicht zu erwarten. Die bürgerlich-liberalen Parteien spielten aufgrund ihrer Schwäche keine wesentliche Rolle mehr. Vor allem zahlte sich jetzt Hitlers Legalitätstaktik aus. Die NSDAP hatte die politische Macht nicht erobern müssen, sondern sie war ihr - zumindest dem äußeren Anschein nach - verfassungskonform in die Hände gelegt worden. Von einer "Machtergreifung", wie die NS-Propaganda später prahlte, kann nicht die Rede sein: Stattgefunden hatte eine Machtübertragung, genauer: die Beauftragung Hitlers mit der Führung einer rechten Koalitionsregierung. Wenn es der NSDAP von dieser eingeschränkten Ausgangsposition aus binnen eineinhalb Jahren gelang, ihre Gegner auszuschalten, ihre Koalitionspartner abzuschütteln und einen "Führerstaat" zu errichten, so vor allem deshalb, weil sie es geschickt verstand, diesen Prozess als eine "legale Revolution" zu inszenieren: als zwar "tiefgreifende Änderung aller Dinge", die aber "im Rahmen von Recht und Verfassung" zu erfolgen schien - freilich kombiniert mit kaum verhülltem Terror. Damit hat Hitlers Partei "jeden Widerstand rechtlicher, politischer oder auch geistiger Art so schwierig, ja - wie viele meinen - praktisch fast unmöglich gemacht" (Karl Dietrich Bracher). Denn wer unter diesen Bedingungen die Entwicklung zur Diktatur aufhalten wollte, musste sich selbst in die Illegalität begeben - das schreckte ab. Als aber das "Dritte Reich" errichtet war und die Unmenschlichkeit seiner Herrschaftsziele und -methoden alles Dagewesene in den Schatten stellte, war es für einen breiten, erfolgreichen Widerstand zu spät. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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