Reichstagswahlen von 1924
Innenpolitische Entspannung Zwischen 1924 und 1929 blieben dramatische innenpolitische Krisen oder gar gewaltsame Umsturzversuche aus. Nach dem fehlgeschlagenen "deutschen Oktober" konzentrierten sich die Kommunisten wieder auf die legalen Formen der Parteiarbeit. Allerdings wurde ihre ideologische und politische Abhängigkeit von der KPdSU noch stärker; jede Moskauer Kursänderung vollzogen sie mit ("Stalinisierung"). Die radikale Rechte war nach ihrem gründlich misslungenen "Marsch auf Berlin" so gut wie aktionsunfähig: Hitler saß bis Dezember 1924 in Festungshaft, während der er sein Buch "Mein Kampf" verfasste; dem Zerfall seiner NSDAP musste er tatenlos zusehen. In Bayern führte ein erfolgreiches Volksbegehren für Landtagsneuwahlen im Februar 1924 zum Abtreten des Triumvirats Kahr - Lossow - Seißer von der politischen Bühne und zur Wiederherstellung verfassungsmäßiger Verhältnisse. Reichstagswahlen von 1924 Nach Ablauf der vierjährigen Legislaturperiode wurde der Reichstag am 4. Mai 1924 neu gewählt. Das Wahlergebnis war noch nicht von den Stabilisierungstendenzen, sondern von den bitteren Erfahrungen des Krisenjahres 1923 und von der aktuellen polarisierenden Debatte über den Dawes-Plan geprägt. Mit Ausnahme von Zentrum und BVP, die sich auf ihre katholische Stammwählerschaft verlassen konnten, bekamen alle seit 1920 an der Regierung beteiligten Parteien die aufgestaute Unzufriedenheit ihrer Wähler zu spüren. Hervorzuheben sind die abermaligen (diesmal leichten) Verluste der SPD, die schweren Einbußen der beiden liberalen Parteien, der sprunghafte Anstieg der DNVP und die deutliche Zunahme der Splitterparteien. Unter dem Eindruck ihrer erneuten Wahlniederlage blieb die SPD in der Opposition. Die von Reichskanzler Marx (Zentrum) gebildete Minderheitsregierung (Zentrum - DDP - DVP) stieß mit ihren Steuererhöhungen zum Ausgleich des Staatshaushalts auf so heftige Kritik der oppositionellen Parlamentsmehrheit, dass Reichspräsident Ebert den Reichstag schon am 20. Oktober wieder auflöste. Das Ergebnis der Neuwahlen vom 7. Dezember 1924 stand im Zeichen der allgemeinen Stabilisierung. Klare Wahlsiegerin wurde die SPD, gefolgt von der DNVP. Die bürgerlichen Mittelparteien konnten wieder leichte Gewinne verbuchen. Eindeutige Verlierer waren die KPD, Ludendorffs "Nationalsozialistische Freiheitsbewegung" (vorher: "Deutschvölkischer Block") und die Splitterparteien. Dieses Gesamtbild signalisierte den Beginn einer politischen Normalisierung, zumal die beträchtliche Stärke der monarchistischen DNVP dadurch relativiert wurde, dass sich die ehemals strikt nationalliberal-monarchistische DVP unter dem Einfluss ihres Vorsitzenden, des angesehenen Außenministers (und früheren Reichskanzlers) Gustav Stresemann, tendenziell zu einer Partei der "Vernunftrepublikaner" entwickelte (das heißt die von der Revolution 1918/19 geschaffenen Realitäten nüchtern anerkannte, ohne sich freilich vorbehaltlos mit ihnen zu identifizieren). Dass die Republik das Schlimmste hinter sich zu haben schien, zeigte sich in den folgenden Jahren vor allem auch daran, dass auf zwei verfassungsrechtlich bedenkliche Regierungsinstrumente wieder verzichtet werden konnte: ·Zwischen 1919 und 1923 hatte der Reichstag siebenmal der Regierung mittels eines so genannten Ermächtigungsgesetzes gesetzgeberische Vollmachten verliehen; dabei wurde die Gewaltenteilung vorübergehend durchbrochen. Diese frühen "Ermächtigungsgesetze" dienten lediglich der schnellen, effektiven Lösung begrenzter Aufgaben wie zum Beispiel der Währungsreform, während Hitlers gleichnamiges Gesetz 1933 die demokratische Verfassungsordnung beseitigte. ·Bis Ende 1924 griff Reichspräsident Ebert in 136 Fällen zum Artikel 48 WV - überwiegend, um politische Unruhen und Staatsstreichversuche zu bekämpfen, zum Teil aber auch zu anderen Zwecken, zum Beispiel um notwendige Steuer- und Devisengesetze zu erlassen, auf die sich der Reichstag nicht zu einigen vermochte. Durch diese überdehnte Anwendung des Artikels 48 gewöhnten sich die Parlamentarier daran, dass präsidiale "Notverordnungen" an die Stelle von Reichstagsgesetzen treten konnten. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
|