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Absetzung der preußischen Regierung
Die "Kamarilla" machte sich den "Altonaer Blutsonntag" zunutze. Am 20. Juli 1932 erließ Hindenburg zwei (von Papen bereits seit dem 11. Juli vorbereitete) Notverordnungen. Die erste ermächtigte die Reichsregierung "zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen", die Landesregierung durch "Reichskommissare" abzulösen. Papen übernahm die Dienstgeschäfte des Ministerpräsidenten, der parteilose konservative Essener Oberbürgermeister Franz Bracht die des Innenministers. Die zweite Verordnung über den Belagerungszustand übertrug die vollziehende Gewalt in Berlin und Brandenburg auf die Reichswehr. Der bisherige preußische Innenminister Carl Severing (SPD) verließ sein Amtsgebäude erst nach Androhung von Gewalt; der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski (SPD), der sich seiner Absetzung nicht beugen wollte, wurde vorübergehend in Haft genommen. Die Absetzung der preußischen Regierung war ein reiner Willkürakt; sie war sogar ein "Staatsstreich" (Heinrich August Winkler), weil das Reich einem Land seine verfassungsmäßige Regierung und das Vertretungsrecht im Reichsrat nicht nehmen durfte. Die Regierung Braun protestierte und klagte vor dem Staatsgerichtshof. Dabei wurde sie von den süddeutschen Ländern unterstützt, die den Föderalismus gefährdet sahen. Im Oktober 1932 erklärte das Gericht eine vorübergehende Einsetzung von Reichskommissaren für zulässig, deren Beauftragung mit der Vertretung Preußens im Reichsrat hingegen für verfassungswidrig. Damit kamen die Richter dem Präsidialregime weit entgegen, beanstandeten jedoch zugleich die überzogene Anwendung des Artikels 48 WV durch den Reichspräsidenten. An der Entmachtung der Regierung Braun änderte das Urteil so gut wie nichts - Preußen blieb unter der Kontrolle der Reichsregierung. Demokraten, insbesondere SPD-Mitglieder, waren bereits aus allen Führungspositionen des preußischen Beamtenapparates entfernt worden. Durch die Absetzung der preußischen Regierung, in die Hitler vorher eingeweiht war, erhielt die an die Macht strebende NSDAP gewaltigen Auftrieb: Die Sozialdemokratie hatte vor einem Angriff mit vorgetäuschter Verfassungsmäßigkeit auf ihre letzte Machtbastion im Weimarer Staat kampflos kapituliert, SPD und KPD blieben zerstritten. Dann würde wohl auch eine Diktaturerrichtung, die sich den Anschein der Legalität gab, nicht auf Widerstand stoßen. So begrüßte die NSDAP-Zeitung "Völkischer Beobachter" am 21. Juli 1932 die Ereignisse in Preußen als "Liquidierung der Novemberherrschaft!" und kommentierte mit Blick auf das Reich: "Der Anfang ist gemacht, wir werden sie zu Ende führen." In den folgenden Wochen begann Hitler mit der Planung eines "Ermächtigungsgesetzes", das - anders als frühere gleichnamige Gesetze - einer von ihm geführten Regierung die Vollmacht zur allgemeinen und zur verfassungsändernden Gesetzgebung übertragen sollte. Wegen dieser strategischen Bedeutung des "Preußenschlages" im Prozess der Demokratiezerstörung stellt sich die Frage, ob am 20. Juli 1932 ein erfolgreicher Widerstand der demokratischen Kräfte - in erster Linie der SPD, der Gewerkschaften und der "Eisernen Front" - möglich gewesen wäre. Sie wird von den Historikern überwiegend verneint. Fest steht, dass in den Reihen der Eisernen Front, insbesondere des Reichsbanners, eine beträchtliche Kampfbereitschaft existierte - doch mit erheblichen regionalen Unterschieden. Auch war Kampfbereitschaft nicht schon gleichbedeutend mit Bürgerkriegsfähigkeit. Vielerorts wartete man zwar auf das Zeichen zum Losschlagen - aber niemand hätte sagen können, wie der Kampf eigentlich geführt werden sollte. Denn ein Notfallkonzept für außerparlamentarische, bewaffnete Aktionen zur Rettung der Demokratie hatten SPD und Gewerkschaften - trotz der Gründungen des Reichsbanners und der "Eisernen Front" - nie entwickelt. Schon gar nicht besaßen sie die skrupellose Gewaltbereitschaft der NSDAP oder der KPD. Severing zum Beispiel hielt sich nicht für berechtigt, "auf Kosten meiner Polizeibeamten tapfer zu sein". Vielmehr hatten die Sozialdemokraten aus dem abschreckenden Beispiel der Russischen Revolution und aus ihren eigenen Erfahrungen in den Jahren 1919 und 1920 die Lehre gezogen, ihre Politik an den Prinzipien Legalität, Humanität und Gewaltlosigkeit auszurichten. Ein Generalstreik, wie die KPD ihn forderte, wurde vor allem von den Gewerkschaften abgelehnt. Bei über sechs Millionen Beschäftigungssuchenden, die die Plätze der Streikenden einnehmen würden, galt er ihnen - anders als beim Kapp-Putsch 1920 - als stumpfe Waffe. So beschränkte sich die Sozialdemokratie auf Proteste und konzentrierte sich auf den Reichstagswahlkampf. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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