Deutsch-russisches Abkommen (Rapallo-Vertrag)
Vom 10. April bis zum 19. Mai 1922 fand in Genua eine Weltwirtschaftskonferenz unter Beteiligung Deutschlands statt; die USA und die Türkei blieben ihr fern, unter anderem auch, weil das bolschewistische Russland eingeladen war. Während die Konferenz ergebnislos endete, sorgten Deutschland und Russland für eine Überraschung. Am 16. April schlossen ihre Delegationen in Rapallo einen Sondervertrag über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, den gegenseitigen Verzicht auf die Erstattung von Kriegsschäden und Kriegskosten, den deutschen Verzicht auf Entschädigungen für sozialisiertes Eigentum in Russland und die Errichtung von Handelsbeziehungen nach dem Grundsatz der "Meistbegünstigung" (das heißt, die Vertragspartner wollten sich gegenseitig die vorteilhaftesten Handelsbedingungen einräumen, die sie auch anderen Staaten gewährten). Damit überwanden Deutschland und die Sowjetunion in Rapallo ihre außenpolitische Isolation und erweiterten - ungeachtet ihrer ideologischen Gegensätze - ihre wirtschaftlichen Beziehungen. Sogar auf militärischem Gebiet kam es zu einer begrenzten (geheim gehaltenen) Zusammenarbeit: Beim Aufbau ihrer Rüstungsindustrie und bei der Entwicklung moderner schwerer Waffen (Panzer, Flugzeuge, Artillerie) konnte die Sowjetunion die Hilfe deutscher Experten in Anspruch nehmen. Dafür fuhren Reichswehroffiziere nach Russland zur Ausbildung an diesen Waffen, die Deutschland aufgrund des Versailler Vertrages weder besitzen noch herstellen durfte. Wenn die Reichsregierung im Vertrag von Rapallo nicht zuletzt eine Chance sah, die deutsche Verhandlungsposition gegenüber den Westmächten zu stärken, so ging diese Rechnung nicht auf. Vielmehr verhärtete sich vor allem Frankreichs Haltung zu Deutschland. Denn aus französischer Sicht war der Vertrag ein sicherheitspolitisches Ärgernis: Zum einen machte er eine zusätzliche Schwächung des gefährlichen Nachbarlandes mittels russischer Reparationsansprüche unmöglich; zum anderen stellte sich die Frage, ob Rapallo eine allgemeine deutsche Option für den Osten und gegen den Westen bedeutete - und womöglich eine Gefährdung Polens. Ganz unberechtigt waren solche Befürchtungen nicht. Tatsächlich rief Rapallo in Teilen der deutschen Rechten, besonders in der Reichswehrführung, geradezu abenteuerliche Spekulationen hervor. General von Seeckt zielte in einer geheimen Denkschrift vom 11. September 1922 bereits auf die Wiederherstellung Deutschlands und Russlands "in den Grenzen von 1914", das heißt auf eine neuerliche Aufteilung Polens, dessen Existenz für beide Länder "unerträglich" sei. Mit Polen werde "eine der stärksten Säulen des Versailler Friedens, die Vormachtstellung Frankreichs", fallen. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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