1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Journalseite April
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Buchauszug
Mein Mann war genau wie ich in der Familie der Doofe. weil auch er kein erfolgreicher Schüler war. Geheiratet habe ich ihn aus Solidarität, weil wir beide in der gleichen beschissenen Lage waren. Gegen diese ganzen geistigen Größen in unserer Familie bildeten wir eine Art Bollwerk. Er wurde auch Optiker und Uhrmacher dazu, und ich habe in Tübingen Krankenpflege gelernt. Ich wurde dann sehr schnell schwanger, was gar nicht geplant war, und 1966 wurde mein Sohn geboren.
Zu der Zeit lebten wir in Tübingen, und dort gab es den SDS, in dem ich als Krankenschwester, ebenso wie mein Mann als Optiker, eigentlich gar nichts zu suchen hatte. Aber es interessierte uns. Der Krieg in Vietnam und diese Anti-Springer-Kampagne, in der es hauptsächlich darum ging, dass Springer die Menschen manipulierte, waren die Gründe. Ich fand das spannend, und es war mal etwas anderes als nur diese Krankenhausgeschichten. In unserem Freundeskreis waren eigentlich nur Studenten aus dem Tübinger SDS, und ich werde nie vergessen, wie der olle Ernst Bloch da war mit seinem Hörrohr und seiner Pfeife.
Trotzdem fand ich diese Zeit in Tübingen öde, vor allem weil ich die tollen Geschichten von meinen Geschwistern aus Berlin hörte. Um mehr davon mitzukriegen, habe ich den "Extra-Dienst" abonniert, und da hieß es, man solle Fritz Teufel in den Knast schreiben. Also habe ich ihm so dies und das geschrieben und gefragt, ob er mir den Text der "Internationale" schicken kann, und daraufhin hat er mir einen ganz wunderbaren Brief geschickt. Das war überhaupt so meine Herangehensweise, nicht diese theoretischen Dinger, sondern etwas praktisches unternehmen.
Zur Zeit der Anti-Springer-Kampagne hat mir mein Mann, als Optiker und Uhrmacher, Anti-Springer-Plaketten zu Ohrringen umgearbeitet. Solche Sachen fand ich richtig gut an ihm. Aber privat lief eben diese bürgerliche Geschichte mit Mann und Kind ab, und es war mein größtes Problem, mich auf das Muttersein zu konzentrieren.
Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt und hatte eigentlich geplant, eine spezielle Krankenpflegeausbildung in England zu machen, um als Krankenschwester in ganz Europa arbeiten zu können. Wenn ich arbeitete, war mein Sohn bei einer Tagesmutter untergebracht. Denn in Tübingen gab es keine Kindergärten. Doch irgendwie ging das alles trotzdem nicht, ein kleines Kind haben, arbeiten und auch noch politisch aktiv sein wollen, obwohl wir damals keine Hemmungen hatten, ihn alleine zu Hause zu lassen.
Meine Schwester Bärbel war mit Bahman Nirumand verheiratet, der das Buch über den Schah von Persien uns vor allem über die Machenschaften des persischen Geheimdienstes SAVAK geschrieben hat. Soweit ich mich erinnere, wurde er selbst vom Geheimdienst beschattet. Es war ihm total wichtig, in Deutschland Informationen über den Schah und sein Regime und auch über den schrecklichen Analphabetismus in Persien zu verbreiten.
Jedenfalls wurde dieses Buch in unserem Elternhaus redigiert, und ich erinnere mich, dass wir Korrektur lesen mussten, Kommas einfügen und solche Sachen. Es war eine sehr spannende Zeit. Wer von den Studenten hier wusste denn damals schon etwas über Persien! Das änderte sich schlagartig durch dieses Buch, und da Nirumand auch Rudi Dutschke und Co. kannte, bekam der Schah-Besuch in Berlin eine hohe Brisanz. Von Regierungsseite wurde der Besuch natürlich generalstabsmäßig vorbereitet. Ich kenne die Ereignisse des 2. Juni 1967 in Berlin hauptsächlich aus den Erzählungen meiner Eltern und meiner Geschwister, weil ich selbst nicht in Berlin war.
Dass ich mich mit der Zeit so stark engagiert habe, hatte in keinster Weise mit dem Verhalten meiner Eltern während des Faschismus zu tun. Es war vielmehr so, dass sie als gläubige Christen immer wahrhaftig sein wollten und keinerlei Schwiemeleien ertragen konnten. Als guter Christ sagte mein Vater immer: "Das schlimmste sind die Pharisäer, die fromm reden und nicht handeln." Die moralische Einstellung kam bei mir aus dem Christentum und der Erziehung meiner Eltern. Aber ich hatte auch einfach Lust darauf, etwas gegen Sauereien zu unternehmen, welcher Art auch immer.
Mein Vater vereiste im Grunde nicht gerne. Als dann der Schah-Besuch näher rückte, hat er mit einem Mal zu meiner Mutter gesagt, "eigentlich sollten wir doch nach Berlin fahren! Die Kinder müssen ja demonstrieren, und wir können auf die Enkelkinder aufpassen." Meine Mutter hat sich sehr gewundert, hat aber gesagt, "pack die alte Hose ein!" Sie waren auch im Audimax und haben zum ersten mal diese ganze Stimmung mitgekriegt, Vietcong-Fahnen und Klatschen, und meine Mutter fand das alles sehr beeindruckend.
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