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Vom Schwarzmarkt zur Währungsreform
 

Start in die Marktwirtschaft
Während in der sowjetischen Zone die Aufgabe der Zentralverwaltungswirtschaft mit staatlich gelenkten Produktionsplänen, Preisen und Löhnen gar nicht zur Debatte stand, bekannte sich die Bizone zur wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft. Das erschien 1948 als atemberaubendes Experiment, das von vielen mit Argwohn und Skepsis beobachtet wurde. Verantwortlich für den kühnen Schritt war Ludwig Erhard, der im März 1948 auf Vorschlag der FDP mit den Stimmen der CDU/CSU vom Frankfurter Wirtschaftsrat zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft gewählt worden war, zum "Wirtschaftsminister" der Bizone also. Vom Wirtschaftsrat, dem Bizonen-Parlament, ließ sich Erhard im Juni 1948 die nötigen Vollmachten zum Abbau der Zwangswirtschaft geben, in Gestalt eines "Gesetzes über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform". Es trat 1948 zugleich mit der Währungsreform in Kraft und war eines der eigenartigsten Gesetze, die in der Ära des Bizonen-Parlaments verabschiedet wurden, weil es mehr ein in die Zukunft weisendes Programm als ein in Paragraphen gekleideter Normenkatalog war.
In rascher Folge wurden mit Hilfe des Leitsätzegesetzes ab 20. Juni 1948 die Preis-Rationierungsvorschriften in der Bizone aufgehoben. Nur besonders wichtige Güter blieben noch eine Zeitlang mit festgesetzten Höchstpreisen bewirtschaftet, darunter Kohle, Stahl, Düngemittel, Treibstoff. Auch für Grundnahrungsmittel und Mieten gab es noch überwachte Festpreise. Die Rationierung von Kartoffeln wurde schon im Oktober 1946 aufgehoben, Zucker blieb dagegen bis April 1950 bewirtschaftet, Benzin blieb bis 1951, Kohle bis 1952 rationiert.
In den ersten Monaten nach der Währungsreform schien es, als würden die Skeptiker recht behalten, die Erhards Kurs für falsch hielten. Solche gab es auch in den Reihen von CDU und CSU. Die Schere zwischen Löhnen und Preisen ging nach der Währungsreform erst einmal weit auf, die Leidtragenden waren die Lohnabhängigen. Die Marktwirtschaft, bei der sich Angebot und Nachfrage durch freie Preise gegenseitig regulieren, war mit dem Kaufkraftstoß zu plötzlich über die Bevölkerung hereingebrochen. Weder Käufer noch Verkäufer zeigten sich der Situation gewachsen. In den ersten Tagen waren die Läden leergekauft worden, dann reagierten die ratlosen Konsumenten erbost gegen die Hektik, mit der die Preise in die Höhe kletterten. Ein großer Teil der Presse verlangte den Abbruch des marktwirtschaftlichen Experiments und die Entfernung des allem Anschein nach unfähigen Politikers Erhard. Im Frankfurter Wirtschaftsrat stellte die Opposition im Sommer und Herbst 1948 zweimal Mißtrauensanträge gegen ihn.
Die Gewerkschaften der britischen und amerikanischen Zone - die viereinhalb Millionen organisierte Arbeiter repräsentierten - riefen schließlich im November 1948 zum Generalstreik "gegen die Anarchie auf den Warenmärkten und gegen das weitere Auseinanderklaffen von Löhnen und Preisen" auf. Etwa neun Millionen Arbeiter folgten der Aufforderung am 12. November 1948 und demonstrierten mit einer 24stündigen Arbeitsniederlegung gegen die Marktwirtschaft. Der Höhepunkt des Protestes war mit dieser Aktion im November 1948 erreicht.
Die Auseinandersetzungen um die Wirtschaftsordnung dauerten aber an, sie standen ein halbes Jahr später im Mittelpunkt des Wahlkampfes für den ersten Deutschen Bundestag. Da war Ludwig Erhard aber schon die "Wahllokomotive" der CDU/CSU, weil sich der Erfolg der Frankfurter Wirtschaftspolitik bereits gezeigt hatte. Das westdeutsche "Wirtschaftswunder" hatte begonnen.

Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de


 
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