1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Versailles
 

Antisemitismus
Der für die deutschvölkische Szene besonders charakteristische Antisemitismus (zum Beispiel wollte die NSDAP schon seit 1920 die deutschen Juden ausbürgern) hatte in Deutschland - wie in anderen Ländern auch - jahrhundertealte Wurzeln. Der christliche Antijudaismus beschuldigte das jüdische Volk unter Berufung auf die Bibel des "Gottesmordes" an Jesus Christus - die Verantwortung der Römer für seine Hinrichtung wurde ausgeblendet. Zum anderen gab es seit dem Mittelalter auch einen Hass gegen jüdische Geldverleiher, die ihre christlichen Schuldner angeblich durch Wucherzinsen ruinieren wollten. Dass die Christen selbst die Juden in den Bereich der Geldgeschäfte abgedrängt hatten, indem sie ihnen Landbesitz und Zunftmitgliedschaft verwehrten, blieb außer Betracht.
Dieser Antijudaismus verstärkte sich, seit sich auch Juden im Zuge ihrer staatsbürgerlichen Gleichstellung 1869 in Preußen und im Norddeutschen Bund, 1871 im Deutschen Reich - zumal unter den Bedingungen der wirtschaftlich chancenreichen Industrialisierung - als erfolgreiche Unternehmer und qualifizierte Freiberufler betätigten, was bei mittelständischen Verlierern des Modernisierungsprozesses und bei Studenten und Akademikern Neid und Konkurrenzangst auslöste. Im Gefolge der Wirtschaftskrise Mitte der 1870er Jahre ("Gründerkrach") verloren zahlreiche mittelständische Börsenspekulanten ihr Aktienkapital; man fragte verständlicherweise nach den Ursachen. Vor dem Hintergrund der schwer durchschaubaren wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge der Hochindustrialisierung entstand die sachlich falsche, aber einfache und an vertraute Vorurteile anknüpfende Vorstellung, der Zusammenbruch zahlreicher Aktiengesellschaften sei zum Schaden der Christen von den an Börsen und in Banken tätigen Juden manipuliert worden. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Antijudaismus zum Antisemitismus. In ihm verbanden sich Bestrebungen, die Emanzipation der Juden rückgängig zu machen, und Proteste gegen die Moderne, für die die Juden sinnbildlich standen, mit international verbreiteten, pseudowissenschaftlichen Rassenlehren, die unter anderem auch die Juden für minderwertig erklärten und ihnen ausschließlich negative Eigenschaften zuschrieben. Den angeblichen Beweis für die absurde Behauptung einer jüdischen Weltverschwörung sollten schließlich die seit 1919 (nicht nur) in deutscher Sprache gedruckten "Protokolle der Weisen von Zion" liefern; dabei handelt es sich zweifelsfrei um eine antisemitische Fälschung, die gleichwohl in der deutschvölkischen Szene weite Verbreitung fand und auch in die NS-Ideologie einging.


Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de


 
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