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Sozialistische Gruppen
Die sozialistischen Widerstandsgruppen, die in den ersten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft am aktivsten im Widerstand waren, gehörten organisatorisch nicht zur SPD. Es waren vor allem drei Organisationen, die sich vor 1933 von der Sozialdemokratie gelöst hatten, die links von der SPD standen und erst allmählich - am Ende des Krieges über die Emigration - wieder zur SPD fanden. Der Mitgliederzahl nach am wichtigsten war die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), die in Berlin und Mitteldeutschland, aber auch in anderen Großstädten und Industrierevieren vertreten war. Die SAPD, deren später prominentestes Mitglied Willy Brandt war, hatte eine Auslandszentrale in Paris und eine illegale Reichsleitung in Deutschland. In den Jahren 1935 und 1936 arbeiteten etwa 5000 SAPD-Mitglieder im Widerstand. 1937 waren die meisten dem Zugriff der Gestapo zum Opfer gefallen. Einige wenige hielten sich noch über das Jahr 1939 hinaus. Eine andere Gruppe nannte sich nach ihrer im Herbst 1933 in Prag publizierten Programm-Schrift "Neu Beginnen". Darin wurde der Anspruch auf die Führung einer reformierten Arbeiterbewegung mit scharfer Kritik der Politik der Arbeiterparteien SPD und KPD in der Weimarer Republik begründet. Razzien der Gestapo brachten im Herbst 1935 und Frühjahr 1936 einen großen Teil der Mitglieder in Haft. Unentdeckt blieb u. a. Fritz Erler, der nach 1945 eine wichtige Rolle spielte, er konnte den Widerstand aus der Illegalität fortsetzen. Bis auf geringe Reste in Süddeutschland war die Gruppe "Neu Beginnen" im Herbst 1938 jedoch zerschlagen. In ähnlicher Weise operierte der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK). Die kleine Organisation unterhielt lokale Stützpunkte im ganzen Deutschen Reich. Sie war in sechs Bezirke gegliedert, hatte eine Exilzentrale in Paris. Der ISK machte vor allem Propaganda gegen das NS-Regime, mit Flugblättern, Parolen auf Straßen und an Wänden. Wichtigstes Mittel zur Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit waren die "Neuen Politischen Briefe", die zwischen Oktober 1933 und Ende 1937 monatlich erschienen. Im Ausland hergestellt, hatten sie hohen Informationswert. Zu ihrer Verbreitung und als Organisationsstützpunkte dienten fünf vegetarische Gasthäuser und ein Brotladen. Von ISK-Mitgliedern betrieben, waren sie eine wichtige Einnahmequelle und das wirtschaftliche Rückgrat der Widerstandsorganisation. In Frankfurt am Main befand sich eines der vegetarischen Restaurants. Dort arbeitete der damals 28jährige Ludwig Gehm als Koch. Außerdem war er Chauffeur und Kurier der Widerstandsorganisation. Er nutzte die Gemüseeinkäufe auf dem Markt, um Flugblätter zu verteilen. An Wochenenden fuhr er mit seinem Motorrad zu geheimen Treffen mit Gesinnungsgenossen, brachte gefährdete Menschen ins Ausland und transportierte auf dem Rückweg von Paris illegale Propagandaschriften nach Frankfurt. Vier Jahre lang, bis zur Verhaftung 1937, betätigte sich Ludwig Gehm mit seinen Freunden als listiger und unermüdlicher Gegner der Nationalsozialisten. Spektakuläre Aktionen Durch die Verteilung der "Neuen Politischen Briefe" suchten sie Aufklärung über die wahren Ziele des NS-Regimes zu verbreiten. Durch alltägliche Demonstration von Opposition wollten sie die Nationalsozialisten verunsichern. Das größte Aufsehen erregten die Frankfurter ISK-Widerstandskämpfer mit der "Autobahn-Aktion" am 19. Mai 1935. Es war der Sonntag, an dem Hitler das erste Autobahnteilstück zwischen Frankfurt und Darmstadt feierlich eröffnete. In der Nacht zuvor hatten sie Parolen wie "Hitler = Krieg" oder "Nieder mit Hitler" auf die Fahrbahn und an die Brücken gemalt und Lautsprecher unbrauchbar gemacht. Die Parolen waren selbstverständlich vor dem Festakt entdeckt worden. An den Brücken wurden sie mit Hakenkreuzfahnen überdeckt, auf den Fahrbahnen mit Sand bestreut. Durch Regen und die Fahrzeuge schwand der Sand dahin, die Schrift wurde wieder lesbar. Der Widerstand der Arbeiterbewegung - so unterschiedlich und vielfältig die Organisationen und Gruppen waren, die ihn leisteten - erschöpfte sich nicht in Propaganda-Aktionen. Kampf gegen das Regime war auch das öffentliche Beharren auf demokratischen und rechtsstaatlichen Idealen. Dafür sind zu Beginn der Hitlerzeit viele Sozialdemokraten und Mitglieder der linkssozialistischen Organisationen in Gefängnis und KZ gekommen, ebenso wie die Kommunisten, deren Ideale denen der Nationalsozialisten, aber auch denen der Sozialdemokraten entgegengesetzt waren. Die Bewahrung des eigenen Standorts gegen die um sich greifende Begeisterung für den Nationalsozialismus war eine Haltung der Verweigerung, die - dann vor allem im Krieg - vielfach in Opposition mündete. Pläne für ein Deutschland nach Hitler, für eine neue Gesellschaftsordnung, die kommunistisch oder parlamentarisch-demokratisch, jedenfalls antinationalsozialistisch orientiert sein würde, sind als Ausdruck politischen Widerstandes in den Reihen der Arbeiterbewegung diskutiert worden. In der sozialdemokratischen Emigration wurde, wie im ISK, bei "Neu Beginnen" und der SAPD über Nachkriegsdeutschland früher diskutiert als in den bürgerlich-konservativen Widerstandskreisen, die sich erst Ende der 30er Jahre formierten. Die Möglichkeiten aus dem Exil in Großbritannien oder in den USA politischen Widerstand zu leisten, waren von Anfang an bescheiden und nach Kriegsausbruch gab es sie kaum mehr. Im Exil näherten sich die linkssozialistischen Gruppen, die sich wegen ihres stärker antifaschistischen Engagements und wegen der Forderung nach einer Einheitsfront der gesamten Arbeiterbewegung gegen den Nationalsozialismus vor 1933 von der SPD getrennt hatten, wieder den Sozialdemokraten. Aus ihren Reihen (SAPD) ging auch der spätere Parteivorsitzende und Bundeskanzler Willy Brandt hervor. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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