Deutsche Geschichten
Machtergreifung
Machtergreifung
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Skeptischen Intellektuellen wie Harry Graf Kessler galten sie noch als "ein wahrer Karneval". Andere, wie der Journalist Jochen Klepper, sahen mit Blick auf die ersten Entlassungen beim Berliner Rundfunk voller Sorge in die eigene Zukunft. Die Angst vor Entlassung und Ausgrenzung erfasste beispielsweise auch den jüdischen Literaturwissenschaftler Viktor Klemperer in Dresden, der in seinen Tagebüchern das Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft detailliert schildert. Doch auch er hoffte wie viele andere, dass es mit dem nationalsozial-
istischen "Spuk" bald ein Ende haben werde. Zu unbedarft erschien die nationalsozialistische Protestbewegung. Die intellektuelle Dürftigkeit ihres Parteiprogramms und ihrer Führungs-
clique, deren geringe politische Erfahrung, die Flucht in den nationalen Mythos und den Kitsch der Parteisymbolik - all das konnte man belächeln und als Beleg für politische Unreife nehmen. Heute wissen wir, dass vom Mythos des "Retters" und "Führers" Massenwirksamkeit ausging und dass die dumpfe Gewalt der SA, die der Publizist
und Pazifist Carl von Ossietzky anfangs
noch mit dem Treiben von "wildgeworden-
en Skatbrüdern" verglichen hatte, Instru-
ment einer Masseneroberungspolitik war.

Reaktionen der Arbeiterbewegung

Auch die politische Linke, der Hitler im Wahlkampf den Kampf angesagt hatte,
sah den "Trommler" in der Abhängigkeit
von Großgrundbesitzern und Schwer-
industriellen und war überzeugt, dass sich
Hitler und die Seinen in dieser Umklam-
merung bald verbrauchen würden. SPD
und KPD waren vom 30. Januar gleicher-
maßen überrascht und reagierten mit überkommenen Rezepten und Erklärung-
en. Politisch waren sie schon längst zu
sehr in der Defensive, um sich noch zu ein-
er starken Gegenwehr formieren zu können.

Terror im Wahlkampf
Mit den Erlassen wurde nicht nur eine ungleiche Behandlung der Wahlkampfparteien bewirkt, sondern auch der SA-Terror gedeckt. Die Polizei sah tatenlos zu, wie Teilnehmer republikanischer Wahlversammlungen von SA-Truppen angegriffen und wie beispielsweise in einer Versammlung des Zentrums in Krefeld am 22. Februar der ehemalige Reichsarbeitsminister Adam Stegerwald niedergeschlagen wurde.

Die KPD hielt an ihrer starren dogmatischen "Sozialfaschismus-Theorie" fest. Nach dieser Theorie galt die reformistische SPD-Führung als der eigentliche politische Gegner, da sie
als Hauptstütze der wirtschaftlichen und politischen Eliten in deren Kampf gegen die "revolutionäre Arbeiterbewegung" fungiere und darum gefährlicher sei als der vermeintlich kurzlebige Nationalsozialismus. Der ganze Widersinn einer solchen Propagandathese musste sich in dem Moment erweisen, als nun in Gestalt der nationalsozialistisch geführten Reichsregierung eine wirklich faschistische Gefahr drohte, von der auch die SPD betroffen war. Wirkungslos blieben aber auch Aufrufe von sozialdemokratischen Gewerkschaften und der "Eisernen Front" (ein 1931 geschlossenes Bündnis des sozialdemokratischen Wehrver-
bandes "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" mit

Gewerkschaften und Arbeitersportvereinen zum Schutz der Republik).

Gewerkschaften
Trotz mancher Meinungsverschiedenheiten hatte sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) bis zum Januar 1933 bei seinen Entscheidungen im Einklang mit der Sozialdemokratie befunden. Nach den Wahlen vom 5. März suchten aber auch die Gewerkschaftsführer "der Zeit Rechnung zu tragen". In einem Schreiben an Hitler distanzierte sich der ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart offen von der SPD.

SPD und Freie Gewerkschaften waren durch den "Preußenschlag" Papens vom 20. Juli 1932 offenbar schon in ihrem Nerv getroffen. Sie hielten weiterhin an ihrem strikten Legalitäts-
kurs fest, um keinen Vorwand für ein Parteiverbot zu liefern. Im übrigen tröstete sich die SPD damit, dass man schließlich auch schon das Sozialistengesetz von Bismarck überstanden habe, und dass die Regierung
Hitler sehr viel eher abwirtschaften werde.

Verfügung über Polizei und Verwaltung
Vor allem in Preußen verfolgte Göring gnadenlos die politischen Gegner. Entscheidend dafür war die Verfügung über Polizei und Verwaltung und die Tatsache, dass bereits mit dem "Preußenschlag" von Papen im Juli 1932 die demokratischen Bastionen in der preußischen Verwaltung durch Entlassung der republiktreuen Beamtenschaft geschleift worden waren.

Dass die einstmals mächtigste Arbeiter-
bewegung der Welt auch durch die Massen-
arbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise zutiefst verunsichert war und kaum zu einem Generalstreik zu bewegen sein würde, war den Gewerkschaftsführern nach dem 30. Januar 1933 ebenso bewusst wie zuvor am 20. Juli 1932 ("Preußenschlag"). Es fehle, stellte der Herausgeber der Zeitschrift "Weltbühne" Carl von Ossietzky resigniert fest, den "Anhängern der Republik an dem notwendigen Lebens-
willen".

Entscheidung für Neuwahlen

Schon in den ersten Tagen wurden Ent-
scheidungen getroffen, die kaum noch legal
zu nennen waren. Sie griffen auf Planungen
für einen Staatsnotstand durch die Regierung Papen zurück. Die Aushöhlung liberal-demokratischer Verfassungsprinzipien war schon so weit vorangeschritten, dass sich nur noch wenige daran störten und noch weniger bereit und entschlossen zum entschiedenen Widerstand waren. So war sowohl die Ver-
sicherung Hitlers gegenüber Hugenberg, auch nach den Neuwahlen werde sich an der Zu-
sammensetzung der Regierung nichts än-
dern, kaum mit dem Geist der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Genauso wenig war es Papens Vorschlag in der zweiten Kabinettssitzung vom 1. Februar, es sei "am besten, schon jetzt festzulegen, dass die

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