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Deutsche Geschichten


Weltweite Wirtschaftskrise
Im Laufe des Jahres 1924 mehrten sich die Anzeichen für eine Stabilisierung der Weimarer Republik.

Tatsächlich war das nachfol-
gende Jahrfünft durch außen- und reparationspolitische Fortschritte, wirtschaftlichen Aufschwung und gesellschafts- und sozialpolitische Erfolge gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund beruhigte sich die innenpolitische Lage, während Kunst und Kultur eine Blütezeit erlebten. Diese erfreuliche Gesamtentwicklung wurde jedoch immer wieder durch gegenläufige Tendenzen oder Rückschläge infrage gestellt.

Entwicklung

Währungsreform, Dawes-Plan und ausländische, insbeson-dere amerikanische Kredite verliehen der deutschen Wirtschaft so starke Impulse, dass eine Phase des Auf-schwungs begann. Produktion, Konsum und Volkseinkommen nahmen zwischen 1924 und 1929 stetig zu. Die elektro-
technische, chemische und optische Industrie sowie neue Industriezweige wie Automobil- und Flugzeugbau, Messing-, Aluminium- und Kunstseide-
herstellung, Film und Rundfunk wiesen ein besonders rasantes Wachstum auf. Aber auch die Schwerindustrie (Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung), der Maschinenbau und die

Textilindustrie konnten ihre Produktion steigern. Die Anlageinvestitionen ver-
doppelten sich. Technische Großprojekte wie das Luftschiff "Graf Zeppelin", das Verkehrs-
flugzeug "Dornier DO X" oder das Passagierschiff "Bremen" demonstrierten die Leistungs-
fähigkeit der deutschen Industrie. Da der Wirtschafts-
aufschwung den Verteilungs-
spielraum erweiterte, kam er nicht nur Unternehmern, Handwerkern und Kaufleuten, sondern auch Arbeitern, Ange-
stellten und Beamten zugute. 1928/29 erreichten Industrie-
produktion und Löhne insge-
samt wieder das Vorkriegs-
niveau - bei deutlich verringer-
ter Wochenarbeitszeit. Der Warenexport übertraf schon 1926 den von 1913. Der Reichshaushalt war, trotz der Reparationsbelastungen, stets annähernd ausgeglichen.

Krisenanfälliger Aufschwung

Bei genauerer Betrachtung jedoch schnitt die deutsche Wirtschaftsentwicklung im Vergleich mit anderen Indu-
strieländern schlechter ab - die Wachstumsraten der Industrie-
produktion und des Außenhan-
dels blieben im internationalen

Video
Videobeitrag
Zeitzeugenbericht:
Inflation 1923

Audio
Audiobeitrag
Tondokumente 1924-1931

Audio
Audiobeitrag
Tondokumente 1929-1932

Chronologie
Chronologie 1918-1932

Maßstab deutlich zurück. Außerdem gab es eine Reihe bedenklicher Trends: Das Wachstum war ungleich-

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mäßig verteilt; so hinkte die Schwerindustrie beträchtlich hinter der Chemie- und Elektroindustrie hinterher. Von Ausnahmen, wie dem Zerfall des Stinnes-Imperiums nach dem Tode seines Begründers 1924) abgesehen, nahm die Wirtschaftskonzentration weiter zu. Bereits 1926 entfielen auf 16 Prozent der Aktiengesellschaften 66 Prozent des Aktienkapitals. Im Bergbau und in der Stahlindustrie waren über 90 Prozent der Unternehmen in Konzernen zusammengefasst. 1925 entstand der weltgrößte Chemiekonzern ("I. G. Farbenindustrie AG"), 1926 der größte europäische Montankonzern ("Vereinigte Stahlwerke"). Die Folge waren Monopolpreise für Rohstoffe und Halbfabrikate, die der verarbeitenden Industrie mindestens ebenso zu schaffen machten wie die Lohnforderungen der Gewerkschaften.

Bedingt durch die 1923 eingeführte staatliche Zwangsschlichtung als letzte Instanz bei Tarif-
konflikten, die der von 1920 bis 1928 amtie-
rende Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns

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Sozialpolitik
Viele Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit wurden seit der Revolution von 1918/19 zwar nicht beseitigt, aber wesentlich stärker als früher sozialpolitisch abgemildert.

(Zentrum) gezielt zugunsten der Arbeitnehmer handhabte, wurden allgemein recht hohe Löhne gezahlt, die zweifellos zur Sicherung des sozialen Friedens beitrugen. Ob dabei die Wirtschaft durch ein im Vergleich zur Arbeits-
produktivität überhöhtes Lohnniveau überfor-
dert wurde (Knut Borchardt) oder ob sich die Lohnentwicklung durchaus im Rahmen der Produktivitätsentwicklung hielt (Carl-Ludwig Holtfrerich), ist unter Wirtschaftshistorikern umstritten.

·Bei den Industrieinvestitionen handelte es sich oft um wettbewerbsbedingte Rationalisierun-
gen in den Wachstumsindustrien, insbesondere um die Einführung der Fließbandarbeit nach dem Vorbild der Ford-Werke in den USA. Immer mehr Arbeiter - zunehmend auch kleinere und mittlere Angestellte - sahen dadurch ihren Arbeitsplatz gefährdet. Bereits 1925/26 führte eine erste "Rationalisierungs-
krise" vorübergehend zu mehr als zwei Millionen Arbeitslosen. Im Durchschnitt der Jahre 1924 bis 1929 lag die Zahl der Beschäfti-
gungslosen bei 1,4 Millionen (circa 6,5 Pro-
zent); sie befand sich mithin schon vor der Weltwirtschaftskrise auf einem hohen Niveau.

·Die Landwirtschaft arbeitete vielfach unren-
tabel und war nach ihrer inflationsbedingten Entschuldung bald wieder verschuldet. Das galt sowohl für die Kleinbauern in Mittel-, Südwest- und Süddeutschland als auch besonders für die ostelbischen Großagrarier. Seit 1927 geriet die Landwirtschaft infolge einer weltweiten Über-
produktion, die mit einem anhaltenden Verfall der Erzeugerpreise (besonders für Schweine und Roggen) einherging, in eine Dauerkrise.

·Ein erheblicher Teil des Wirtschaftsauf-

schwungs wurde mit den Auslandskrediten - vor allem aus den USA - finanziert, die im Gefolge des Dawes-Plans und angelockt von hohen Zinsen nach Europa flossen.

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Außenpolitische Erfolge (Dawes-Plan)
Eine erste Entspannung in der Reparationsfrage brachte ein auf amerikanischen Druck unter der Leitung des US-Bankiers Charles Dawes entwickelter Plan..

Sie entwickelten sich zu einem Gefahrenherd: 1929 erreichte die deutsche Auslands-
verschuldung einen Gesamtumfang von 25 Milliarden RM; die kurzfristige Verschuldung betrug 12 Milliarden RM. Demgegenüber beliefen sich die deutschen Auslandsanlagen nur auf zehn Milliarden RM. Ein Abzug der kurzfristigen, von den deutschen Banken aber oft langfristig weitervergebenen Auslands-
kredite musste daher verheerende Folgen haben.

·Die expansive Kreditpolitik der Großbanken und ihre oft gefährlichen Spekulationen mit Wertpapieren waren nicht ausreichend durch Eigenkapital und liquide Mittel abgesichert, was damit zusammenhing, dass private Haushalte und Unternehmen nach der Inflationserfahrung von 1923 nur wenig Neigung zum Sparen bzw. zur Kapitalbildung verspürten.

·Die Zentralbank (Reichsbank) konnte nur mittels der Diskontpolitik (Verteuerung bzw. Verbilligung der Kredite, die sie den Privatban-
ken gewährte) auf das Wirtschaftsgeschehen einwirken. Dagegen verfügte sie noch nicht - wie heute die Bundesbank - über die Mindest-
reservenpolitik (Erhöhung bzw. Senkung der Geldschöpfung und Kreditgewährung der Geschäftsbanken) und die Offenmarktpolitik (An- und Verkauf von Wertpapieren zur Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage).

·Auch das Finanzgebaren der öffentlichen Hände gab Anlass zur Sorge. Von 1926 bis 1929 stiegen die jährlichen Ausgaben von Reich, Ländern und Gemeinden zusammen von 17,9 auf 24,3 Milliarden RM. Besonders die Kommunen achteten oft zu wenig auf die Finanzierbarkeit ihrer sozialpolitischen Investitionen; bis zu zwei Drittel ihrer "unproduktiven" Infrastrukturmaßnahmen (unter anderem Straßen, Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Schwimmbäder) finanzierten sie mit Hilfe der Auslandsanleihen. Daraus ergibt sich, dass die gesamtwirt-
schaftliche Situation in Deutschland schon vor der von außen hereinbrechenden Weltwirt-
schaftskrise problematisch war. Sie zeichnete sich durch eine erhebliche "hausgemachte" Krisenanfälligkeit aus; eine grundlegende wirtschaftliche Stabilisierung fand in den Jahren 1924 bis 1929 nicht statt.

Gesellschaft im Wandel

Nach den Einschnitten durch Kriegseinwir-
kungen und Gebietsverluste erhöhte sich die

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Bevölkerungszahl im Deutschen Reich zwischen 1925 und 1933 um etwa 2,8 Millionen, sodass sie am Ende wieder den Vorkriegsstand von rund 65 Millionen erreichte. Davon waren nahezu gleichbleibend etwas weniger als zwei Drittel Protestanten, annähernd ein Drittel Katholiken; der Anteil der Juden ging von 0,9 auf 0,8 Prozent zurück. Im selben Zeitraum hielten die für hochindu-
strialisierte Gesellschaften typische Landflucht und Verstädterung weiter an: Der Bevölke-
rungsanteil der Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern nahm von 35,6 auf 32,9 Prozent ab, während der der Großstädte (über 100000 Einwohner) von 26,8 auf 30,4 Prozent anstieg. Parallel dazu vollzog sich ein Rück-
gang der Erwerbspersonen in der Landwirt-
schaft von 30,5 auf 28,9 Prozent, in Industrie und Handwerk von 42,1 auf 40,4 Prozent, während der Dienstleistungsbereich eine Zunahme von 27,4 auf 30,7 Prozent verzeich-
nete. Der Anteil der Industriearbeiterschaft an den Erwerbstätigen stagnierte seit der Jahr-
hundertwende bei knapp 50 Prozent.
Die Weimarer Republik erbte vom Kaiserreich eine hochdifferenzierte, hierarchisch geglieder-
te Industriegesellschaft mit ausgeprägten schicht-, geschlechts- und generationsspezi-
fischen Strukturen sozialer Ungleichheit hinsichtlich der Einkommens- und Vermögens-
verteilung, der Berufsbedingungen und der familiären Lebensverhältnisse. In manchen Bereichen vollzog sich jedoch in den zwanziger Jahren ein teilweise beträchtlicher Wandel.

Kultur in der Weimarer Republik

Das Kriegs- und Revolutionserlebnis, der Durchbruch der Demokratie, aber auch der technische Fortschritt und nicht zuletzt starke amerikanische Impulse (Jazz-Musik, Filmkunst) machten die zwanziger Jahre auch in kulturel-
ler Hinsicht zu einer Zeit der Umbrüche. Die Weimarer Republik setzte in der kurzen Zeit ihrer Existenz in beispielloser Weise künstleri-
sche Energie und Kreativität auf nahezu allen Gebieten frei. Kunsthistoriker zählen die Jahre zwischen 1918 und 1933 zur "Klassischen Moderne", denn die Vielfalt und Modernität ihrer Kunst- und Kulturformen - zwischenzeit-
lich vom NS-Regime unterdrückt - wirkten nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die Gegenwart hinein inhaltlich und formal anregend, wenn nicht sogar prägend.
Politik und Kunst entwickelten sich quasi parallel:

·Der krisenreiche Übergang vom Kaiserreich zur Republik 1918/19 bis 1923 war die Zeit des zu Ende gehenden Expressionismus.

·Im selben Maße, wie sich der Staat von Weimar zwischen 1924 und 1929 stabilisierte und ein Teil seiner Gegner zu "Vernunftre-
publikanern" wurde, breitete sich die "Neue Sachlichkeit" aus.

·Schließlich fanden ab 1930 die politische Polarisierung und die immer autoritäreren Regierungsformen ihre Entsprechung in proletarisch-revolutionären, vor allem aber in

nationalistischen bis hin zu nationalsozialistischen Inhalten und Formen der Kunst. Die Weimarer Kultur blieb - bei fließenden Grenzen - stets mehrfach gespalten: in anspruchsvolle Kultur und Massenkultur, in avantgardistische und traditionalistische Strömungen, in proletarisch-revolutionäre, linksliberale, konservative und völkische Richtungen. Die politischen Auseinandersetzungen wurden also auch mit den Mitteln der Kunst ausgetragen.

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Konservativer Antimodernismus
Wie Nationalkonservative und Rechtsradikale die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik als "undeutsches", von den Siegermächten aufgezwungenes politisches System hassten und bekämpften, so lehnten sie die moderne Kunst als "Amerikanismus" ab

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Juden in Kultur und Wissenschaft
Das kulturelle Leben der Weimarer Republik war den von antisemitischen Ressentiments geprägten Nationalkonservativen und Rechtsradikalen insbesondere auch deshalb verhasst, weil es ihnen als von Juden be- herrscht erschien.

Anspruchsvolle Kultur fand ihren Ausdruck in den zwanziger Jahren hauptsächlich auf den Feuilletonseiten der angesehenen liberalen, überregionalen Tageszeitungen ("Vossische Zeitung", "Frankfurter Zeitung"), in literarisch-politischen Zeitschriften ("Die Weltbühne", "Neue Rundschau", "Die Linkskurve"), in Malerei und Architektur, im Sprech- und Musiktheater, im Konzert, in Revue und

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Theater und Literatur
Im Theater begann 1925 die Abkehr von expressionistischer Wirklichkeitsverzerrung und Sprachverstümmelung mit Carl Zuckmayers gefeiertem Volksstück "Der fröhliche Weinberg" (1925).

Kabarett, in Romanen und Gedichten. Dort entfalteten sich Expressionismus und Neue Sachlichkeit, dort wurden aber ebenso die klassischen Traditionen gepflegt und fand auch proletarisch-revolutionäre Kunst ihr Publikum. Massenkultur (Kultur der bzw. für die Massen)

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trat vor allem im lokalen und regionalen Zeitungswesen, in Fortsetzungs- und "Groschenromanen", in den neuartigen Fotoreportagen der Illustrierten, im Schlager, in Film und Rundfunk und in sportlichen Groß-
veranstaltungen (Fußball, Boxen, Radrennen, Automobilrennen) in Erscheinung.
Zwar verteilte sich das kulturelle Leben auf viele größere und einige kleinere Städte; seinen strahlenden Mittelpunkt aber bildete die Reichs- und preußische Landeshauptstadt Berlin, wo das Preußische Ministerium für Erziehung und Wissenschaft und die Preus-
sische Akademie der Künste mit Kompetenz und Geld die moderne Kunst förderten.
Charakteristisch für die Weimarer Kultur-
geschichte ist die Vielfalt moderner Strömun-
gen und Stile: Nebeneinander schufen zum Beispiel so unterschiedliche Komponisten wie Richard Strauss und Arnold Schönberg, Maler

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Musik und Film
Antiromantisch, nüchtern bis verspielt, klar strukturiert: die neue Kunst spiegelte klar den Drang nach neuen Perspektiven.

wie Emil Nolde und Max Liebermann, Erzähler wie Thomas Mann und Hermann Hesse, Dramatiker wie Gerhart Hauptmann und Georg Kaiser oder Lyriker wie Rainer Maria Rilke und Gottfried Benn - um nur einige bekannte Namen zu nennen - und nicht zuletzt die Künstler der "Neuen Sachlichkeit" bedeutende Werke.

Neue Sachlichkeit war eine für die zweite Hälfte der zwanziger Jahre besonders typische Kunstrichtung, die - beeinflusst von der Massenkultur und den neuen technischen Medien Film und Rundfunk - das damalige

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Massenmedien
Unter den Massenmedien, die in der Weimarer Republik alle eine rasante Entwicklung erlebten, behielt die Presse ihre Spitzenstellung...

Lebensgefühl der Menschen, ihr nüchternes Streben nach Bewältigung des Alltags, ein-
zufangen versuchte. Der Begriff geht auf eine Ausstellung moderner Malerei in Mannheim 1925 zurück. Künstler wie Max Beckmann, George Grosz, Otto Dix und andere hatten sich von den expressionistischen, technikfeindli-
chen Traum- oder Phantasiewelten mit ihren großen, reinen Farbflächen, realitätsfernen Farbgebungen und entstellten Formen abge-
wandt. Ihre in Mannheim präsentierten rich-
tungweisenden Arbeiten (oft Stillleben und Porträts) zeichneten sich durch gegenständ-
liche Malweisen und alltägliche Themen aus.

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Bauhaus
Das Bauhaus, 1919 in Weimar gegründet, wurde zur führenden neusachlichen Künstlerschule und strebte eine Zusammenführung von Architektur, Malerei und angewandter handwerklicher Kunst an.


Da es zwischen den verschiedenen Sparten der Kunst gewisse strukturelle Entsprechungen - gemeinsame Wahrnehmungs- und Aus-
drucksformen - gibt, wurde Neue Sachlichkeit bald zum allgemeinen Begriff für künstleri-
sches Bemühen um eine konkrete, distanzierte Auseinandersetzung mit der "greifbaren Wirklichkeit", die dem Inhalt den Vorrang vor der Form einräumte und das Schlichte gegenüber dem Ornamentalen bevorzugte.
Neusachliche Mode befreite die Frauen von Dutt, Korsett und fußlangen Röcken, die Männer von Stehkragen ("Vatermörder"), gestärkter Hemdbrust und Bart.

Politische Instabilität

Indessen taten sich die politischen Parteien auch nach 1923 weiterhin schwer mit der parlamentarisch-demokratischen Regierungsweise, das heißt mit der Bildung stabiler Koalitionsregierungen, der Bereitschaft zum politischen Kompromiss und dem Mut zu notwendigen unpopulären Entscheidungen.

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Reichstagswahlen von 1924
Nach Ablauf der vierjährigen Legislaturperiode wurde der Reichstag am 4. Mai 1924 neu gewählt. Das Wahlergebnis war noch nicht von den Stabilisierungstendenzen, sondern von den bitteren Erfahrungen des Krisenjahres 1923 und von der aktuellen polarisierenden Debatte über den Dawes-Plan geprägt.

Trotz ihres hohen Wahlsieges war die SPD nicht dazu bereit, den Reichskanzler zu stellen; vielmehr blieb sie unter dem Druck ihres linken (um zahlreiche ehemalige USPD-Mitglieder verstärkten) Flügels, der Koalitionen prinzipiell ablehnte, die ganze Legislaturperiode hindurch in der Opposition. Umgekehrt verspürten auch die bürgerlichen Parteien seit dem Sturz des Reichskanzlers Stresemann auf Betreiben der SPD im November 1923 nur noch wenig Neigung zur Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Darüber hinaus waren die linksliberale DDP und die monarchistische DNVP nicht miteinander koalitionsfähig. Auch gab die DNVP, selbst wenn sie sich an der Regierung beteiligte, ihre Fundamentalopposition gegenüber der Weimarer Republik keineswegs auf. Überdies führten Spannungen zwischen

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den beiden katholischen Parteien dazu, dass die BVP nicht, wie die Zentrumspartei, allen, sondern nur einigen Regierungen der Weimarer Republik angehörte.
Vor diesem Hintergrund zeichneten sich die Reichsregierungen der Jahre 1924 bis 1928 vor allem dadurch aus, dass sie trotz mehrfacher Umbildungen keine oder nur eine unsichere Mehrheit besaßen. Von dem 1925 gescheiterten Experiment einer "Bürgerblock"-Regierung von der DDP bis zur DNVP (erstes Kabinett des parteilosen, DVP-nahen Reichskanzlers Luther) abgesehen, kamen nur folgende Modelle in Frage:

·Minderheitsregierungen der bürgerlichen Mittelparteien (DDP - Zentrum, ggs. BVP - DVP) wie das zweite Kabinett Marx (Zentrum) 1924, das zweite Kabinett Luther 1926 und das dritte Kabinett Marx 1926, die auf Tolerierung in innenpolitischen Fragen meist von rechts, in außenpolitischen von links angewiesen waren.

·"Bürgerblock"-Regierungen vom Zentrum bis zur DNVP wie das erste Kabinett Luther 1925 und das vierte Kabinett Marx 1927 (Reichswehrminister Geßler gehörte ihnen unabhängig von der Haltung der DDP an), die zwar in der Innenpolitik weitgehend übereinstimmten, in der Außenpolitik aber zerstritten waren.

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Reichspräsidentenwechsel
Am 28. Februar 1925 starb Reichspräsident Ebert überraschend im Alter von nur 54 Jahren an einer verschleppten Blinddarm- und Bauchfellentzündung.

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Verträge von Locarno
Im Zuge der durch den Dawes-Plan bewirkten Verbesserung des politischen Klimas tagten vom 5. bis 16. Oktober 1925 im schweizeri-schen Kurort Locarno die Regierungschefs ...

Die Regierungen arbeiteten daher in innen- und außenpolitischen Fragen mit wechselnden Mehrheiten, weshalb zwischen Regierungs-
fraktionen und Kabinettsmitgliedern ein distan-
ziertes Verhältnis bestand.

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Reichstagswahl 1928
Die Republik zwischen Festigung und Gefährdung - so lässt sich auch der Ausgang der Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 einordnen, wenn man ihn mit dem Ergebnis der Wahl vom Dezember 1924 vergleicht.

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Stresemann zur Reichstagswahl 1928
Reichsminister und Parteiführer Dr. Stresemann spricht in seiner Rede zur Reichstagswahl 1928 von riesigen Problemen in der Innen- und Außenpolitik, welche ausschließlich ihre Lösung in seinen "Leitsternvorstellungen" finden könne...

Die SPD geriet dabei in eine politische Zwitterstellung: Obwohl Oppositionspartei, musste sie den bürgerlichen Regierungen immer wieder zur Mehrheit verhelfen, um wichtige außenpolitische Projekte wie Dawes-Plan, Locarno-Verträge oder Völkerbundsbei-
tritt nicht am Widerstand der DNVP scheitern zu lassen. Der parlamentarische "Normalfall" einer klaren Minderheitsopposition und einer dauerhaften Mehrheitsregierung, deren Koa-
litionspartner in der Innen- ebenso wie in der Außenpolitik gemeinsame Lösungen finden konnten, wollte sich in den mittleren Jahren der Republik nicht einstellen. Unter diesen

Umständen kam es zu keiner wirklichen Stabilisierung des Parlamentarismus.

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Trauerzug Stresemann 1929
Im Oktober 1929 stirbt Gustav Stresemann. Zu seinen Ehren hält der Zug von Trauernden am Auswärtigen Amt, vor seinem ehemaligen Arbeitszimmer, um dem "Großen Staatsmann" die letzte Ehre zu erweisen. Hierzu ein Sprecherkommentar, der das Geschehen dokumentiert.

Kampagne gegen den Young-Plan

Im Herbst 1929 entfesselte die deutsche Rechte, die die außenpolitischen Erfolge der Republik beharrlich ignorierte, gegen den Young-Plan und seine Befürworter den größten

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Young-Plan
Das Ergebnis schwieriger und langwieriger Verhandlungen war ein von dem amerikanischen Wirtschaftsexperten Owen D. Young entworfener Plan, der folgende Neuregelungen enthielt:

politischen Propagandafeldzug in der Geschichte der Weimarer Republik. Dabei arbeitete die seit Ende Oktober 1928 von Hugenberg geführte DNVP erstmals mit Hitlers NSDAP zusammen. Hugenbergs auflagen-
starke Zeitungen druckten fast täglich Hetzartikel gegen den Young-Plan und immer öfter wohlwollende Berichte über die Nationalsozialisten. DNVP, der Bund der Frontsoldaten "Stahlhelm" und NSDAP gründeten einen von Hugenberg finanzierten "Reichsausschuss" für ein Volksbegehren gegen den Young-Plan, der einen Entwurf für ein "Gesetz gegen die Versklavung Deutschlands" vorlegte. Darin wurde die Streichung des Kriegsschuldartikels 231 aus dem Versailler Vertrag gefordert und jeder mit hohen Zuchthausstrafen bedroht, der das Young-Abkommen unterzeichnete: "Reichskanzler, Reichsminister und Bevollmächtigte des Reiches". Der Reichspräsident blieb davon ausgenommen - schließlich war Hindenburg Ehrenvorsitzender des "Stahlhelm".

Trotz der großangelegten Kampagne kam die erforderliche Unterschriftenzahl nur knapp zustande. Der anschließende Volksentscheid vom 22. Dezember 1929 endete mit einem Fehlschlag: Nur 5,8 Millionen Wähler (statt der erforderlichen 21 Millionen) stimmten dafür. In Anbetracht des seit 1924 anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwungs der Republik, auf den sich die beginnende Weltwirtschaftskrise noch nicht voll ausgewirkt hatte, war die Reparationsfrage für die große Mehrheit der Bevölkerung offenbar kein erstrangiges politisches Thema mehr. Am 12. März 1930 wurden die Young-Plan-Gesetze, trotz anhaltender Kritik von rechts, die im demonstrativen Rücktritt des Reichs-
bankpräsidenten Hjalmar Schacht gipfelte, von der Großen Koalition (mit Ausnahme der BVP) im Reichstag beschlossen.

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Hindenburgs Amtsführung
Die von manchen gehegte Hoffnung, der neue Reichspräsident werde die Demokratie vielleicht sogar weiter festigen, denn er könne wie kein anderer die Monarchisten mit der Republik versöhnen, erfüllte sich nicht. Im Gegensatz zu Stresemann war und wurde Hindenburg kein "Vernunftrepublikaner".

Als Hauptnutznießerin der Anti-Young-Plan-Kampagne erwies sich die NSDAP. Hitler hatte es mit Hugenbergs Hilfe vermocht, sich durch eine monatelange, aufwändige Propaganda-
kampagne reichsweit ins Gespräch zu bringen und im nationalistischen Lager zu

Weltweite Wirtschaftskrise
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profilieren. Ungeachtet ihres Putsches von 1923 besaßen die NSDAP-Führer jetzt auch außerhalb Bayerns Zutritt zu den "besseren Kreisen". Nicht zufällig waren die National-
sozialisten bei den Reichstagswahlen 1930 besonders dort erfolgreich, wo schon das Volksbegehren gegen den Young-Plan viele Anhänger gefunden hatte.

Zerstörung der Demokratie 1930 - 1933
Wirtschaftskrise

Ab 24. Oktober 1929 begann ein dramatischer Verfall der Aktienkurse an der New Yorker Börse ("Schwarzer Freitag"). Ursache waren jahrelange Überinvestitionen in der Industrie und damit ein Überangebot an Waren, mit dem die Nachfrage nicht Schritt gehalten hatte. Binnen kurzem weitete sich die amerikanische Krise aufgrund der internationalen Finanz- und Wirtschaftsverflechtungen zur größten Krise der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert aus. Um liquide zu bleiben, mussten die US-Banken Gelder zurückfordern, die sie kurzfristig in Europa angelegt hatten. In den Industrieländern sanken Produktion und Beschäftigung, Löhne und Preise stark ab. Da die so genannten Selbstheilungskräfte des Marktes ebenso versagten wie die Instrumente der Wirtschaftspolitik, ging die konjunkturelle Krise der internationalen kapitalistischen Wettbewerbswirtschaft Mitte 1931 in eine tiefgreifende strukturelle Krise über. Erst Mitte der Dreißigerjahre wurde sie international mit unterschiedlichen Mitteln überwunden. In Deutschland geschah dies im Rahmen der nationalsozialistischen Aufrüstungspolitik, die mit einer gigantischen Staatsverschuldung einherging. Die Weltwirtschaftskrise hat die Errichtung der NS-Diktatur keineswegs verursacht, aber sie hat diesen Prozess ermöglicht und beschleunigt.

Das Deutsche Reich war, nach den USA, am stärksten von der Krise betroffen. Es hatte etwa drei Viertel der kurz- bis mittelfristigen Auslandskredite für langfristige Investitionen eingesetzt. Obwohl sich schon 1928 ein Rückgang der Nachfrage angekündigt hatte, investierte die Industrie auch 1929 noch. Dadurch wurden die Überkapazitäten verstärkt, zumal bald alle Industrieländer die bereits bestehenden Zollschranken im Zuge der Krise erhöhten. Das Überangebot an Waren führte zu einer Produktionsdrosselung; Kurzarbeit und Entlassungen sowie Firmenzusammenbrüche waren die Folge. Im Winter 1929/30 gab es bereits mehr als 3 Millionen Arbeitslose, die materiell weitaus schlechter abgesichert waren als heutzutage. Die Zahl der jährlichen Konkurse verdoppelte sich von 1928 bis 1931. Es entstand ein Teufelskreis aus sich verringernder Kaufkraft, zurückgehender Nachfrage, sinkender Produktion und weiteren Entlassungen, der auch die Dauerkrise in der Landwirtschaft verschärfte. Viele kleine und mittlere Bauern konnten ihre Schulden nicht mehr abbezahlen.
Es kam zu Zwangsversteigerungen, gegen die sich ein verzweifelter bäuerlicher Protest formierte. Die schleswig-holsteinische "Landvolkbewegung" machte schon 1929 durch tätliche Angriffe auf Gerichtsvollzieher und Polizisten und durch Bombenattentate auf staatliche Gebäude (unter anderem auf den Reichstag) von sich reden.

Bruch der Großen Koalition

Die Massenarbeitslosigkeit überstieg bei weitem die finanziellen Möglichkeiten der Arbeitslosenversicherung. Bei den Haushaltsberatungen kam es zu harten Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionsparteien. Ende Dezember 1929 erreichte die DVP die Ablösung des Finanzministers Rudolf Hilferding (SPD) durch

ihr Fraktionsmitglied Paul Moldenhauer, der dem Aufsichtsrat der I. G. Farben angehörte. Zwar einigte sich das Kabinett am 5. März 1930 auf Steuersenkungen, eine Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge auf vier Prozent und ein langfristiges Sparprogramm. Aber die DVP-Fraktion und die hinter ihr stehenden Unternehmerverbände lehnten diesen Kompromiss ab. Nach der Einigung über die gemeinsame Verabschiedung des Young-Planes am 12. März ging der Streit weiter. Die SPD wollte die Beitragserhöhung auf 3,75 Prozent begrenzen; die DVP knüpfte ihre Zustimmung an Bedingungen, die auf eine Kürzung des Arbeitslosengeldes hinausliefen.
Schließlich unterbreitete der Zentrums-Fraktionsvorsitzende Heinrich Brüning am 27. März 1930 einen Kompromissvorschlag, der die Hauptstreitfrage - Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen - vorläufig vertagte.

Biographie
Heinrich Brüning

Diesmal stimmte die DVP zu, während die SPD ablehnte. Hatten sich die Sozialdemokraten seit 1928, begleitet von der Kritik ihres linken Flügels und von der Sozialfaschismus-Propa-
ganda der KPD, manchmal bis an die Grenze der Selbstverleugnung kompromissbereit gezeigt, um die Koalition zu erhalten, so sahen sie nunmehr - nicht zuletzt unter dem Eindruck der unternehmerischen Kompromisslosigkeit im Ruhreisenstreit - die Substanz des Sozial-
staates in Gefahr. So blieb dem Kabinett Müller am 27. März 1930 nur der Rücktritt.

Wie es schien, war die Große Koalition an der Unbeweglichkeit der SPD in einer an sich lösbaren Streitfrage zerbrochen. Als Hindenburg jedoch schon drei Tage später, ohne vorherige Koalitionsverhandlungen, den neuen Reichskanzler - nämlich Heinrich Brüning - ernannte, lag der Rückschluss nahe,

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Audiobeitrag
Brüning 1931
Reichskanzler Brüning spricht sich dafür aus, die "(...) selbstzerfleischenden politischen Kämpfe, die in der Geschichte so oft Leid über Deutschland gebracht haben (...)", in diesem Augenblick der Wirtschaftsnot ruhen zu lassen.

dass der Bruch der Großen Koalition im Umfeld des Reichspräsidenten von langer Hand geplant war. Diesen Planungen war die SPD allerdings mit ihrer kompromisslosen Haltung entgegengekommen. Auch die bisherigen Koalitionspartner der SPD mussten eingeweiht und mit der neuen Regierungsbildung einver-
standen gewesen sein, denn Brüning ersetzte lediglich die drei sozialdemokratischen Minister durch Vertreter der "Wirtschaftspartei" (Justiz-
minister Victor Bredt), der "Volkskonserva-
tiven Vereinigung" (Minister für die besetzten Gebiete Gottfried Treviranus) und der DNVP (Ernährungsminister Martin Schiele, Vorsitzender des nationalkonservativen, großagrarisch-beherrschten "Reichslandbun-
des"). Erstaunlicherweise arbeitete die DDP erstmals mit der DNVP zusammen. Bei den Deutschnationalen konnte sich Brüning zwar auf den gemäßigten Flügel um den Fraktions-
vorsitzenden Graf Westarp, nicht aber auf den

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radikalen Flügel um den Parteivorsitzenden Hugenberg stützen. Die neue Regierung besaß also keine Mehrheit.

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Oberschichten
Nach wie vor existierte die alte gesellschaft-liche Oberschicht: adlige und bürgerliche Großgrundbesitzer, Wirtschaftsbürgertum ...

Übergang zum Präsidialregime

Wie Brüning trotzdem seine Politik durchzu-
setzen gedachte, eröffnete er dem Reichstag am 1. April 1930 in seiner Regierungserklä-
rung: Sein Kabinett sei - so laute Hindenburgs Auftrag - "an keine Koalition gebunden" und werde "der letzte Versuch sein, die Lösung mit diesem Reichstage durchzuführen". Das hieß im Klartext: Die neue Regierung wollte notfalls ohne und gegen das Parlament arbeiten, mit Hilfe der Machtmittel des Reichspräsidenten: Notverordnungen nach Artikel 48 WV und Reichstagsauflösung nach Artikel 25 WV. Sie verstand sich als "Präsidialkabinett", als "Hindenburg-Regierung". Eine solche Konstruk-
tion war in der Verfassung nicht vorgesehen.
Bereits am 18. März 1929 hatte der strikt antisozialistisch gesinnte Hindenburg insge-
heim mit dem DNVP-Fraktionsvorsitzenden Graf Westarp die Möglichkeit einer Regierung seines Vertrauens - ohne und gegen die Sozialdemokratie - erörtert. Kurz nach Ostern 1929 erfuhr Brüning - so berichtet er in seinen Memoiren, deren Echtheit und Zuverlässigkeit unter Historikern allerdings umstritten ist - von Schleicher, der Reichspräsident sehe die Gefahr, "dass die ganze Innen- und Außen-
politik im Sumpfe verlaufe". Er wolle daher "das Parlament im gegebenen Augenblick für eine Zeit nach Hause schicken und in dieser Zeit mit Hilfe des Artikels 48 die Sache in Ordnung bringen". Brüning und Schleicher waren sich einig: "Die Monarchie muss am Ende der Reformen stehen." Brüning warnte aber davor, sie "im Kampfe gegen die Masse der geschulten Arbeiterschaft" wieder einzu-
führen.
Ende Dezember 1929 wurde Brüning von Schleicher und Staatssekretär Meissner darüber informiert, "dass der Reichspräsident unter keinen Umständen gewillt sei, nach Verabschiedung des Young-Plans noch das Kabinett Hermann Müller im Amt zu lassen". Hindenburg erwarte, dass Brüning sich als Reichskanzler zur Verfügung stelle. Brüning empfahl sich für dieses Amt - so überliefert Meissner in seinen Erinnerungen eine Äußerung Schleichers - "als Zentrumsabge-
ordneter mit konservativer Einstellung, als erfahrener Politiker und national gestimmter ehemaliger Frontsoldat", den die Rechtspar-
teien, die Reichswehr und (wegen seiner "sozialpolitischen Einstellung") sogar die SPD akzeptieren könnten. Bereits am 15. Januar 1930 erfuhr Graf Westarp (seiner Niederschrift zufolge) von Hindenburg und Meissner die Richtlinien für das Kabinett Brüning:
"a) antiparlamentarisch, also ohne Koalitions-
verhandlungen und Vereinbarungen,
b) antimarxistisch; auch nach seiner (Hindenburgs - Anm. d. Red.) Ansicht sei es schon um der Wirtschaft und Finanzen willen durchaus erforderlich, zum mindesten auf einige Zeit hinaus, den sozialdemokratischen Einfluss auszuschalten,
c) Wandlung in Preußen [...]. Meissner glaubte, dass gegebenenfalls das Zentrum jetzt bereit sei, auch in Preußen Wandel zu schaffen".
Die in Preußen regierende Weimarer Koalition sollte also nach Möglichkeit ebenfalls gesprengt werden.
Parallel zu diesen Vorbereitungen im Palais des Reichspräsidenten nahmen Wirtschafts-
kreise verstärkt Einfluss auf die DVP, um deren Austritt aus der Großen Koalition zu

erreichen. Unter Stresemanns Nachfolgern Ernst Scholz und Eduard Dingeldey waren die "Vernunftrepublikaner" in der DVP ins Abseits geraten. Im Dezember 1929 veröffentlichte der von der Schwerindustrie beherrschte Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) eine mit der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (VDA) abgestimmte Denkschrift zur Bekämpfung der Wirtschafts-
krise mit dem Titel "Aufstieg oder Nieder-
gang?". Ihre wichtigsten Forderungen lauteten: Steuererleichterungen für Unternehmer, Abschaffung der Zwangsschlichtung, Senkung der Staatsausgaben und Reform der Arbeits-
losenversicherung durch "Ersparnismaßnah-
men, nicht aber durch erhöhte Beiträge". Diesen Kurs machte sich die industrieabhän-
gige DVP zu Eigen. Am 5. Februar 1930 berichtete der DVP-Abgeordnete Erich von Gilsa dem Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Stahlindustrieller, Paul Reusch, vertraulich über den Stand der Entwicklung: Scholz wolle "bewusst auf einen Bruch mit der Sozialdemokratie hinarbeiten". Er habe dies-
bezüglich schon "Verbindungen mit Schiele, Treviranus und Brüning aufgenommen".

Der Bruch der Großen Koalition erfolgte also im Zusammenspiel einflussreicher Vertreter autoritärer politischer - zum Teil monarchi-
stischer - Bestrebungen und wirtschaftlicher Interessen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Vermittlungsvorschlag des bereits als Reichskanzler vorgesehenen Heinrich Brüning vom 27. März 1930 in einem anderen Licht: Er war dazu gedacht, die Große Koalition "vor der Öffentlichkeit an der Kompromisslosigkeit der SPD und nicht an der Intransigenz des kom-
menden Koalitionspartners DVP zu Schanden gehen zu lassen" (Volker Hentschel).
Die Bereitschaft der DDP zur Mitarbeit im Kabi-
nett Brüning und mehr noch ihr Zusammen-
schluss mit dem antisemitischen "Jungdeut-
schen Orden" zur "Deutschen Staatspartei" im Juli 1930 machten sichtbar, dass 1928/29 nicht nur in der DNVP, im Zentrum und in der DVP, sondern auch bei den Linksliberalen ein Rechtstrend eingesetzt hatte.

Reichstag

Die ersten Gesetzesvorlagen der neuen Regierung - Finanzhilfen für die ostelbische Landwirtschaft, Steuererhöhungen zur Deckung des Reichshaushaltes 1930 - wurden vom Reichstag mit knapper Mehrheit angenommen. Misstrauensanträge von SPD und KPD gegen diese sozial unausgewogene Politik blieben erfolglos. Da die Arbeitslosigkeit weiter zunahm, beschloss die Regierung im Juni eine zusätzliche Deckungsvorlage: Reform der Arbeitslosenversicherung durch eine Beitragserhöhung (der jetzt auch die DVP zustimmte) auf 4,5 Prozent bei gleichzeitigen Leistungskürzungen, Ledigensteuer, Notopfer für Beamte und Angestellte, einheitliche Kopfsteuer. Als der Reichstag Teile dieses noch unsozialeren Programms am 16. Juli ablehnte, setzte Brüning die gesamte Vorlage in Form zweier Notverordnungen des Reichs-
präsidenten nach Artikel 48 Abs. 2 WV in Kraft. Die Umwandlung eines vom Reichstag abge-
lehnten Gesetzentwurfes in eine Notverord-
nung war eindeutig verfassungswidrig. Am selben Tag wurde der Antrag der SPD-Fraktion, Brünings Notverordnungen nach Artikel 48 Abs. 3 WV aufzuheben, vom Parlament mit großer Mehrheit angenommen. Unmittelbar danach löste der Reichspräsident den Reichstag nach Artikel 25 WV auf. Die Notverordnungen wurden in einer noch verschärften Fassung wieder in Kraft gesetzt. Zwar mussten gemäß Artikel 25 WV späte-
stens nach 60 Tagen Neuwahlen stattfinden; bis dahin aber konnte mit Notverordnungen regiert werden. Gegen die Ausschaltung des Parlamentes durch die missbräuchlich kombinierte Anwendung der Artikel 48 WV und 25 WV hätte sich der Reichstag entweder durch eine Volksabstimmung über die Absetzung des Reichspräsidenten nach Artikel 43 WV oder durch eine Anklage gegen den

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Reichspräsidenten vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich nach Artikel 59 WV zur Wehr setzen können. Vom ungewissen Aus-
gang einer Volksabstimmung bzw. eines Prozesses abgesehen, hätten entsprechende Anträge eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Reichs-
tag benötigt - daran war jedoch nicht mehr zu denken.

Wahlsieg der NSDAP

Denn die Reichstagswahl vom 14. September 1930, die mit 82 Prozent eine hohe Wahlbetei-
ligung verzeichnete, endete mit einer Kata-
strophe für die Demokratie. Die NSDAP, noch 1928 mit 2,6 Prozent (12 Mandaten) eine Splitterpartei, erzielte 18,3 Prozent und konnte die Zahl ihrer Sitze fast verneunfachen. Mit 107 Abgeordneten stellte sie die zweitstärkste Fraktion (hinter der SPD, vor der KPD). Einen derartigen Wahlerfolg hatte es in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus noch nicht gegeben.
Ein Blick auf die Stimmverteilung zeigt, dass die SPD erhebliche Verluste, die KPD starke Gewinne registrierte - in der Arbeiterschaft hatte ein Linksruck stattgefunden. Aber zusammengenommen hatten die Linksparteien kaum Einbußen erlitten. Zentrum und BVP erzielten sogar leichte Gewinne. Auch der Anteil der Sonstigen, das heißt der Kleinpar-
teien, nahm etwas zu. Demgegenüber mussten DDP und DVP schwere Verluste hinnehmen, und der Stimmenanteil der DNVP hatte sich sogar halbiert. Wenngleich Art und Ausmaß damaliger Wählerwanderungen nicht exakt bestimmbar sind, lässt sich schließen, dass überwiegend nationalkonservative und liberale, protestantische Mittel- und auch Oberschichtwähler zur NSDAP gewandert

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Mittelschichten
Die Mittelschichten umfassten zunächst den "alten Mittelstand": selbstständige Handwerker und Einzelhändler, kleine und mittlere ....

waren. Besonders stark wurde Hitlers Partei offenbar vom "alten Mittelstand" (selbst-
ständige Handwerker, Einzelhändler, kleine und mittlere Unternehmer, freie Berufe und Bauern) und vom "neuen Mittelstand" (Beamte und vor allem Angestellte) gewählt. Auch von der um sieben Prozent gestiegenen Wahlbe-
teiligung konnte sie stärker als andere Parteien profitieren, das heißt Jungwähler und bisherige Nichtwähler gewinnen.
Dieser Befund bestätigt die soziale Zusam-
mensetzung der Mitgliederschaft der NSDAP: Arbeiter bildeten zwar die stärkste Einzelgrup-
pe, waren jedoch im Vergleich zu ihrem Anteil an den Erwerbstätigen deutlich unterrepräsen-
tiert, während die verschiedenen Mittelschich-
ten einen überproportional hohen Anteil stellten.

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Jugend
Seit der Jahrhundertwende gab es in der Jugend Ansätze zur Entwicklung erwachsenen-unabhängiger Zusammenschlüsse mit eigenen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen...

Ferner zog die NSDAP besonders die jüngere Generation an: Das Durchschnittsalter ihrer 130000 Mitglieder und Funktionäre im Jahre 1930 lag beträchtlich unter dem der übrigen Parteien.
Die Gründe für die Umorientierung der Wähler werden erst verständlich, wenn man sich die materiellen und psychologischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise vor Augen führt. Zum Zeitpunkt der Septemberwahlen lag die Ar-
beitslosenquote bereits seit einem Dreiviertel-
jahr über 14 Prozent; hinter dieser Zahl verbargen sich die Schicksale von mehr als drei Millionen schlecht versorgten Arbeit-
nehmern und ihren Familien.

Die Folge war eine politische Polarisierung: Arbeitslose Arbeiter, die insgesamt den beiden Linksparteien treu blieben, wählten zum Teil erstmals kommunistisch. Der "alte Mittelstand"

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Unterschichten
Zu den Unterschichten zählten Industrie- und Landarbeiter, Handwerksgesellen und Lehrlinge, Knechte und Mägde, Hausangestellte, Arbeitslose, Rentner und Invaliden. Industriearbeiter stellten gut drei Fünftel dieses Gesellschaftssegments.

hingegen, der sich sowohl von Seiten der Großunternehmen als auch seitens der Arbeitnehmer unter Druck genommen fühlte, dessen Vertrauen in den Weimarer Staat seit der Inflation 1923 erschüttert war und der jetzt in der Krise die sinkende Kaufkraft seiner Kunden zu spüren bekam, sah sich erneut von Verarmung und sozialem Abstieg bedroht. Er reagierte darauf mit einer Radikalisierung nach rechts zur NSDAP. Vergleichbares galt für den "neuen Mittelstand".
Denn erstens war Hitlers Partei als einzige politisch unverbraucht - ihre Glaubwürdigkeit und Kompetenz hatten noch keinen Test bestehen müssen; zum anderen ging sie in Programm und Propaganda gezielter und geschickter als jede andere auf die speziellen Nöte und Bedürfnisse der eigentumsorien-
tierten und "standesbewussten" Mittelschichten ein. Entsprechend der doppelten Frontstellung des alten Mittelstandes gegen KPD/SPD/Gewerkschaften einerseits und Banken/Industrie/Warenhäuser andererseits enthielten die politischen Aussagen der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-
partei" sowohl antimarxistische als auch antikapitalistische Elemente. Ihr begrenzter Antikapitalismus ("Mittelstandssozialismus") war - anders als der radikale, an Marx geschulte - für die Mittelschichten insofern akzeptabel, als "die NSDAP auf dem Boden des Privateigentums steht", wie Hitler 1928 öffentlich klarstellte. Er richtete sich nicht gegen das, wie es in der NS-Ideologie hieß, "schaffende", sondern nur gegen das "raffende Kapital", das heißt gegen Banken (zu hohe Kredit-, zu niedrige Sparzinsen), Börsen (undurchschaubare Gewinnchancen und Verlustrisiken) und Warenhäuser (bedrohliche Konkurrenz).
Diese vermeintlichen "Auswüchse" lastete die NS-Propaganda den angeblichen Machenschaf-
ten eines "internationalen Finanzjudentums" an. Auf diese Weise bog sie den ursprünglich klassenkämpferischen Antikapitalismus rassenideologisch um und lenkte ihn auf die Juden als Sündenböcke ab. Da auch "der Marxismus" (das heißt Organisationen und Politik der kommunistischen und sozialdemo-
kratischen Arbeiterschaft) und die aus dem "Dolchstoß" hervorgegangene Republik als schändliche Machwerke der Juden hingestellt wurden, flossen im Rahmen dieser Verschwö-
rungstheorie Antikapitalismus und Antimarxismus, Antidemokratismus und extremer Nationalismus im Antisemitismus der NSDAP zusammen. Will man die inneren und äußeren Bedrohungen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft abwenden, dann muss man die Juden bekämpfen - so lautete, zusammenge-
fasst, die politische Botschaft der NSDAP. Wegen ihrer Einfachheit und Eingängigkeit fiel sie in Deutschland - einem der Länder mit einer langen antijudaistischen und antisemi-
tischen Tradition - unter den Bedingungen der psychologisch wie materiell noch unbewältigten Kriegsniederlage und der immer fühlbarer werdenden Auswirkungen der Weltwirtschafts-
krise auf fruchtbaren Boden.

Verschärfung der Krise

Dass die KPD jetzt über 77, die NSDAP über 107 Reichstagssitze verfügte, hatte schwer-
wiegende wirtschaftliche Folgen. Ausländische Kapitalanleger, insbesondere die bereits unter der Krise leidenden amerikanischen und französischen Banken, die um die politische Stabilität der Weimarer Republik fürchteten, begannen mit dem Abzug ihrer kurzfristigen

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Kredite. Dadurch verschärfte sich die Wirtschaftskrise in Deutschland; die Arbeitslosigkeit nahm weiter zu. Hindenburg jedoch teilte Brüning am Tag nach der Wahl mit, er genieße weiterhin sein Vertrauen und solle sich nicht beirren lassen. Um seine parlamentarische Basis nach rechts zu verbreitern, versuchte der Reichskanzler, die NSDAP in seine Politik einzubinden, zumal ihr Führer aus dem Fehlschlag von 1923 gelernt hatte und sich seither verfassungstreu gab. Um seine Partei gegen ein Verbot abzusichern und ihre Mitglieder im öffentlichen Dienst vor der Entlassung zu schützen, nutzte Hitler die Chance zu einem öffentlichkeitswirksamen "Legalitätseid": Als geladener Zeuge im Leipziger Reichsgerichtsprozess, in dem drei junge Offiziere wegen nationalsozialistischer Betätigung in der Reichswehr angeklagt wurden, erklärte er am 25. September 1930 unter Eid, seine Bewegung kämpfe "nicht mit illegalen Mitteln"; "noch zwei bis drei Wahlen", dann werde sie "in der Mehrheit sitzen" und "den Staat so gestalten, wie wir ihn haben wollen".

Tolerierungspolitik der SPD

Die SPD geriet durch das Wahlergebnis in ein Dilemma. Setzte sie ihre Opposition gegen Brünings autoritäre und unsoziale Politik konsequent fort, dann bestand die Gefahr einer erneuten Reichstagsauflösung und -neuwahl. Dabei konnte die NSDAP, die von der Wirtschaftskrise noch mehr profitierte als die KPD, so stark werden, dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernennen würde. Was aber eine NS-Regierung bedeuten musste, hatte bereits das Beispiel des Faschismus in Italien gezeigt: ein schnelles Ende der Demokratie und des Rechtsstaates, der Linksparteien und der Gewerkschaften. So weit sollte es in Deutschland nicht kommen. Deshalb durfte auch die in Preußen nach wie vor bestehende Weimarer Koalition nicht gefährdet werden.
Vor diesem Hintergrund beschloss die SPD, Brüning als das kleinere Übel zu tolerieren. Um weitere Reichstagsauflösungen zu vermeiden, sorgte sie - wenn auch widerwillig - zusammen mit Zentrum und BVP, DDP, DVP, Wirtschaftspartei und gemäßigten Deutschnationalen dafür, dass die Regierung bei Abstimmungen keine Niederlage erlitt. Dadurch wurde sie jedoch, wie die innerparteiliche Linke scharf kritisierte, politisch bewegungsunfähig und für ihre Mitglieder und Wähler zunehmend unattraktiv. Unter Krisenbedingungen konnte sie weder sozialdemokratische Politik durchsetzen - Brüning machte ihr nur minimale Zugeständnisse -, noch war sie in der Lage, sich als politische Alternative zu profilieren. Als Partei des "Brüning-Blocks" galt sie verständlicherweise in den Augen der Öffentlichkeit als mitverantwortlich für die unsoziale Politik des Reichskanzlers.

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Politische Radikalisierung
Am 10. Februar 1931 zog die "nationale Opposition" (DNVP und NSDAP) unter Protest für mehrere Wochen aus dem Reichstag aus, nachdem eine vom "Brüning-Block" beschlossene Änderung der Geschäftsordnung unsachliche Anträge, wie sie von den Rechtsparteien bevorzugt wurden, künftig erschwerte.

Unter diesen Bedingungen nahm das Ansehen des Parlamentes weiter ab. Denn der Reichstag verlor nicht nur faktisch seine demokratische Kontrollfunktion gegenüber der Regierung, sondern er wurde auch als Zentrum der Gesetzgebung zunehmend funktionslos. Das Präsidialregime griff immer öfter zu Notverordnungen, der Reichstag trat immer seltener zusammen. Diese Aushöhlung des Parlamentarismus hat der NSDAP 1933 die Errichtung der Diktatur wesentlich erleichtert.

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Harzburger Front
Am 11. Oktober 1931 veranstaltete die nationalistische Rechte - NSDAP, DNVP, Stahlhelm, Reichslandbund, Alldeutscher Verband - in Bad Harzburg eine Tagung, verbunden mit einem Aufmarsch ihrer Verbände, um Stärke und Geschlossenheit zu demonstrieren.

Deflationspolitik

Die Regierung Brüning erhöhte die direkten Steuern (auf Löhne, Einkommen und Umsätze), besonders aber die indirekten (Massenverbrauchssteuern, unter anderem auf Zucker, Tabak und Bier). Sie baute die staatlichen Sozialausgaben ab und kürzte die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst (mit Ausnahme der Reichswehr). Auf diese Weise wollte Brüning das krisenbedingte Sinken des

Steueraufkommens abfangen, Einnahmen und Ausgaben des Staates im Gleichgewicht halten und die im Zuge des Produktionsrückganges überschüssig werdende Kaufkraft abschöpfen. Diese "Deflationspolitik" zielte vor allem auf die Sicherung der Geldwertstabilität, die nicht nur den Vorschriften des Young-Planes entsprach, sondern - nach der traumatischen Inflationserfahrung von 1923 - durchaus auch im Sinne der Bevölkerung lag. Da jedoch die Belastungen ungleich verteilt wurden, die ostelbische Großlandwirtschaft (vor allem auf Wunsch Hindenburgs) sogar weiterhin Subven-
tionen aus der Staatskasse erhielt, lief die Deflationspolitik aus sozialpolitischer Sicht darauf hinaus, die Krise in erster Linie auf dem Rücken der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen zu bewältigen. Sie wirkte wie eine "Einlösung politischer Verpflichtungen gegenüber Großagrariern und Industriellen" (Dietmar Petzina).

Darüber hinaus zeigte sich rasch, dass die Deflationspolitik nicht nur kein Mittel gegen die Krise war, sondern diese sogar noch ver-
schärfte. Denn durch die Kürzung der Staatsausgaben und die Absenkung der privaten Einkommen verringerte sich die kaufkräftige Nachfrage; dadurch ging die Produktion noch weiter zurück, während die Arbeitslosigkeit rapide anstieg. Je länger die Krise anhielt, desto mehr Arbeitslose fielen spätestens nach 26, als über 40-jährige nach 39 Wochen aus der Arbeitslosenversicherung mit ihren bescheidenen, nach Lohnklassen gestaffelten Leistungen heraus. Danach erhielten sie bis zu 39 bzw. 52 Wochen eine deutlich geringer bemessene, bedürftigkeitsge-
bundene Krisenunterstützung; schließlich die noch knapper bemessene (rückzahlungspflich-
tige) kommunale Wohlfahrtsunterstützung. Von den 4,7 Millionen Arbeitslosen im Frühjahr 1931 bezogen 43 Prozent Arbeitslosengeld, 21 Prozent Leistungen der Krisenfürsorge und 23 Prozent Zuwendungen der Wohlfahrtsunter-
stützung. Die übrigen 13 Prozent erhielten überhaupt keine Unterstützung.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1931 führten zwei einschneidende Ereignisse zu einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Eine von Deutschland und Österreich angestrebte, für beide Länder wirtschaftlich vorteilhafte Zollunion scheiterte an ihrer politischen Brisanz: Frankreich sah darin - sicher nicht zu Unrecht - den ersten Schritt zu einem "Großdeutschland" und einer kontinen-
talen Hegemonie des Reiches und erhob Einspruch. Ausländische Kapitalanleger riefen daraufhin zahlreiche fällige Kredite zurück, statt sie zu verlängern. In beiden Ländern gerieten viele Banken in Schwierigkeiten. Am 11. Mai brach die Österreichische Creditanstalt zusammen. Am 13. Juli musste auch die Darmstädter und Nationalbank unter dem Ansturm der in Panik versetzten Sparer, die ihre Einlagen abheben wollten, ihre Zahlungen einstellen. Sämtliche Banken wurden für zwei Tage geschlossen; das Reich musste ihnen mit einer Milliarde RM unter die Arme greifen. Trotzdem konnten die Bankkunden nur noch in beschränktem Umfang über ihre Guthaben verfügen. Die Bankenkrise verschärfte zusätzlich die chronische Kapitalknappheit der deutschen Wirtschaft. Allerdings brachte sie Bewegung in die Reparationsfrage: Angesichts der Gefahr eines finanziellen und wirtschaftli-
chen Zusammenbruchs Deutschlands mit unabsehbaren internationalen Auswirkungen setzte der amerikanische Präsident Herbert Hoover durch, dass sowohl die deutschen Zahlungen an die Siegermächte als auch die Rückzahlung der alliierten Kriegsschulden an die USA ab 6. Juli 1931 für ein Jahr unterbro-
chen wurden (Hoover-Moratorium).
Am 21. September 1931 koppelte Großbri-
tannien das Pfund Sterling vom Goldstandard ab, um es um 20 Prozent abzuwerten. Durch eine entsprechende Verbilligung seiner Waren auf dem Weltmarkt wollte das Land seinen Export fördern und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Länder mit Pfund-Währung (Indien, Ägypten, Palästina, Irland, Australien, Neuseeland, Südafrika), Skandinavien und weitere Staaten folgten dem Beispiel. Das bis dahin bestehende internationale Währungs-
system mit festen Wechselkursen auf der Basis des Goldpreises brach zusammen. Der Wert der Reichsmark stieg; deutsche Produkte wurden auf dem Weltmarkt relativ teuer, was zu einem beträchtlichen Rückgang der Auslandsnachfrage führte. Brüning antwortete darauf mit einer weiteren Verschärfung des Deflationsdrucks: Nach der Notverordnung vom 6. Oktober 1931 konnten Arbeitslose nur noch 20 statt 26 Wochen Leistungen der Arbeitslosenversicherung beziehen. Die am 8. Dezember verordneten allgemeinen Lohn-, Miet-, Zins- und Preissenkungen, durch die die Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft ausgeglichen werden sollten, erschienen der SPD hinnehmbar. Mittelstand, Industrie und Banken dagegen zeigten sich verärgert. Da sich die marktwirtschaftswidri-
gen Maßnahmen der Dezember-Verordnung nicht voll und vor allem nicht gleichzeitig verwirklichen ließen, wurden Hersteller und Verbraucher zusätzlich verunsichert - die Inlandsnachfrage nahm weiter ab.
Bankenkrise, Pfundabwertung und deflations-
politische Notverordnungen führten zu einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im Durchschnitt des Jahres 1932 gab es 5,6 Millionen registrierte Arbeitslose (29,9 Prozent). Ende Februar lag die Zahl der "sicht-

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baren" Arbeitslosen bei 6,1 Millionen; rechnet man etwa 1,5 Millionen "unsichtbare" (Men-
schen, die sich aus Scham über ihre Armut nicht meldeten) hinzu, so ist tatsächlich von 7,6 Millionen Beschäftigungssuchenden auszugehen. Der Lebensstandard breiter Massen verschlechterte sich dramatisch.

Rolle Brünings

Manche Historiker sehen in Brüning den letzten Reichskanzler, der mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln versuchte, die Weimarer Republik durch die Weltwirtschaftskrise hindurchzusteuern. Brünings Politik lässt jedoch erkennen, dass er die Wirtschafts- und Finanzpolitik seinen außen- und innenpoli-
tischen Zielen (Aufhebung des Versailler Vertrages, autoritäre Umgestaltung des Staates, wenn nicht gar Rückkehr zur Monarchie) unterordnete. Erstes Etappenziel war die Streichung der Reparationsver-
pflichtungen. Durch eiserne Deflationspolitik wollte Brüning den Siegermächten demonstrie-
ren, dass das Reich trotz größter Anstrengun-
gen die Auflagen des Young-Plans (Zahlung der Jahresraten bei stabiler Währung und ausgeglichenem Staatshaushalt) nicht erfüllen konnte. Neuverhandlungen, so kalkulierte er, mussten dann zu einer Abschlussregelung führen.
Um dieser Ziele willen nahm Brüning die Verschärfung der Wirtschaftskrise und damit die um sich greifende soziale Verelendung in Kauf. Auch wies er alle Vorschläge zu einer aktiven Konjunkturpolitik zurück - Experten schlugen kreditfinanzierte Staatsaufträge im Umfang von etwa drei Milliarden RM vor, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Prompt machte sich die NSDAP diese Arbeitsbeschaffungs-
vorschläge zu Eigen und betrieb damit 1932 eine geschickte und wirkungsvolle Wahlpropaganda.

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Ernst Torgler im Reichstag 1931
Der Führer der kommunistischen Reichstagsfraktion, Ernst Torgler, prangert die mit der faschistischen Entwicklung einhergehende militärische Abschottung des Reichstages an und warnt, rückblickend durchaus visionär, vor einer zukünftigen Radikalisierung allen politischen Lebens.

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Reichstags Sitzung 1932
Die abgelaufene erste Amtszeit des Reichspräsidenten Hindenburg macht 1932 eine Reichspräsidentenwahl nötig. Um diese Wahl kommt es, wie zu allen möglichen anderen Fragen jener Zeit, im Reichstag zu turbulenten Auseinandersetzungen. Es sprechen Joseph Goebbels (1. Teil) und der Abgeordnete Ernst Lemmer (2. Teil).

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Reichspräsidentenwahl 1932
Der mittlerweile 85-jährige Hindenburg stellte sich zur Wiederwahl....

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Brünings Entlassung
Zum entscheidenden Konflikt kam es, als Brüning sowie Innen- und Reichswehrminister Groener dem dringenden Wunsch zahlreicher Länder (darunter Bayern ebenso wie Preußen) nachgaben und beim Reichspräsidenten ein Verbot der SA und der SS erwirkten...

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Reichstagswahlen 1932
Am 31. Juli 1932 gingen mehr Bürgerinnen und Bürger zur Wahl als je zuvor (84,1 Prozent). Die SPD verlor abermals Stimmen an die KPD. Zwei Jahre Tolerierungspolitik gegenüber Brüning, der Ausschluss prominenter linker Kritiker des Parteikurses (im September 1931), die Mitwahl Hindenburgs und das Stillhalten in Preußen hatten Teile der SPD-Wählerschaft enttäuscht.

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Absetzung der preußischen Regierung
Im Oktober 1932 erklärte das Gericht eine vorübergehende Einsetzung von Reichskom-missaren für zulässig, deren Beauftragung mit der Vertretung Preußens im Reichsrat hinge-gen für verfassungswidrig.

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Regierung von Papen
Brünings Nachfolger wurde Franz von Papen, ein katholisch-westfälischer Adeliger, bis zum Kriegsende Berufsoffizier, seither preußischer Landtagsabgeordneter, der in der Zentrumspartei auf dem rechten (monarchistischen) Flügel stand. Als Hauptaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der Zentrumszeitung "Germania" sowie als Mitglied des konservativ-elitären Berliner "Herrenklubs" verfügte Papen über gute Kontakte...

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Rücktritt der Regierung Papen
Am 17. November 1932 trat die Regierung Papen zurück, blieb jedoch geschäftsführend im Amt. Die politische Lage der Regierung war aussichtslos geworden. Auch der neue Reichstag würde ihr das Misstrauen aussprechen oder ihre Notverordnungen aufheben. Schließlich wurde im Kabinett ein "Kampfplan" erwogen: Auflösung

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Reichskanzlerschaft Schleichers
Generalleutnant Kurt von Schleicher behielt auch als Reichskanzler das Amt des Reichswehrministers und setzte mit der Ernennung eines "Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung" einen arbeitnehmerfreundlichen Akzent...

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Hitler im Wahlkampf 1932
"Sie können uns unterdrücken, sie können uns meinetwegen töten. Kapitulieren werden wir nicht."

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Scheiternde Bündnispläne
Der Aufstieg Hitlers und der NSDAP.