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Deutsche Geschichten


Europa
Ein ganzer Kontinent formiert sich neu: Zum alten Westen kommt der junge Osten. Die Begeisterung ist mit Ängsten gepaart.

Der Weg in eine größere Union

Das Ende des Ost-West-Konflikts 1989 markiert auch in der Geschichte der europäischen Integration einen Wendepunkt. Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Europa und dem Ende der sowjetischen Vorherrschaft über die Länder Mittel- und Osteuropas (MOE) entstand erstmals eine weltpolitische Konstellation, in der eine Erweiterung der EG nach Osten hin möglich wurde. Mit einem Mal wurde die EG/EU in eine führende Rolle katapultiert, um die politische und wirtschaftliche Ordnung des postkommunistischen Europas mitzugestalten. Die Osterweiterung stellt die EU vor eine einmalige historische Chance und politische Herausforderung. Durch die Aufnahme von Ländern, die früher hinter dem Eisernen Vorhang lagen, kann sie einen Beitrag zur dauerhaften Überwindung der Teilung Europas leisten und die westeuropäische Zone des Friedens und Wohlstands nach Osten hin ausdehnen.
Der EU-Beitritt von relativ armen Ländern mit erheblichem wirtschaftlich-sozialen Modernisierungsrückstand fordert allerdings den macht- und verteilungspolitischen Status quo in der EU heraus und verschärft die Probleme der Handlungsfähigkeit und Regierbarkeit der künftigen EU mit 25 und mehr Mitgliedern.

Den Chancen der politisch-wirtschaftlichen Einigung Europas stehen die Risiken einer geographischen, politischen, sozialen und finanziellen Überdehnung und Überforderung der Union gegenüber.
Mit acht der zehn Bewerberländer aus Mittel- und Osteuropa sowie mit Zypern und Malta hat die EU die Verhandlungen über den Beitritt abgeschlossen. Er erfolgt zum 1. Mai 2004. 2007 sollen Rumänien und Bulgarien EU-Mitglieder werden. Die Türkei erhielt auf dem Kopenhagener Erweiterungsgipfel im Dezember 2002 die Zusicherung, dass Ende 2004 über die unverzügliche Eröffnung von Beitrittsverhandlungen entschieden werde.

Von den Nachfolgestaaten Jugoslawiens gehörte nur Slowenien und von den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zählten lediglich die drei baltischen Staaten zum Kreis der Beitrittsländer. Kroatien und Mazedonien haben unterdessen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen geschlossen, die ihnen eine allgemeine Beitrittsperspektive eröffnen. Kroatien stellte im Februar 2003 sogar einen Beitrittsantrag. Mit Russland, der Ukraine und Moldawien bestehen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, die keine Beitrittsperspektive einräumen und auch

unterhalb der Assoziierungsabkommen liegen. Im Zuge der Liberalisierung und Demokratisierung, die in Mittel- und Osteuropa in den achtziger Jahren, besonders nach dem Amtsantritt des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, einsetzte, wurde die EG zu einer Schlüsselpartnerin der Transformation und der Modernisierung. Überall endete das Monopol der kommunistischen Partei, freie Wahlen mit pluralistischem Parteienangebot fanden statt, und es entwickelten sich demokratische Verfassungen, die Gewaltenteilung, das Rechtsstaatsprinzip und die Festschreibung der Grund- und Freiheitsrechte vorsahen. Gleichzeitig betrieben die ostmitteleuropäischen Staaten erfolgreich die Liberalisierung ihrer Ökonomien durch Privatisierung und Freigabe der Preise, den Aufbau funktionsfähiger Marktwirt-
schaften und die Integration in die Weltwirtschaft. Als Alternative zur Zwangs-
gemeinschaft im 1991 aufgelösten "Rat für gegenseitige Wirtschafts-
hilfe" (RGW) des Ostblocks übte die EG eine enorme Anziehungskraft aus. Die politischen Eliten Mittel- und Osteuropas setzten die "Rückkehr nach Europa" unmittelbar mit einer Mitgliedschaft in der EU gleich. Im Zuge der deutschen Einigung wurden die

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ostdeutschen Länder automatisch Teil der EG. Diese schnelle "Erweiterung ohne Beitrittsverhandlungen" blieb aber ein Sonderfall. Für die übrigen Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts begannen 1988/89 schrittweise und individuell ausgebaute Beziehungen der Kooperation und Assoziierung.
Die Gründung einer EG des Ostens stellte dabei zu keinem Zeitpunkt eine realistische oder von den mittel- und osteuropäischen Staaten politisch gewollte Alternative dar. Die prinzipiell bilateral ausgerichtete Vertragspolitik der EU führte in den neunziger Jahren zu einem auf Brüssel zentrierten System, das die wirtschaftliche und politische Vernetzung oder gar Integration der Vertragsparteien untereinander vernachlässigte. Multilaterale Kooperationsinitiativen nahmen die MOE-Länder nur zögerlich wahr und betonten immer wieder, dass diese keinen Ersatz für den EU-Beitritt darstellen sollten.

Europaabkommen

Bevor die Erweiterung jedoch auf der konkreten Tagesordnung stand, setzte die Europäische Union gegenüber den MOE-Staaten zunächst im Rahmen einer länderspezifischen und schrittweisen Vertragspolitik ihre traditionellen Instrumente der Marktöffnung, der finanziellen Unterstützung und des politischen Dialogs ein. So sahen Handels- und Kooperationsabkommen lediglich die Meistbegünstigung vor, gewährten also wechselseitig jene handelspolitischen Vorteile, die die Vertragspartner auch anderen Drittstaaten eingeräumt hatten.
Mit den Europaabkommen begründeten die EG und das assoziierte Land darüber hinaus eine schrittweise ausgebaute Freihandelszone für Industrieprodukte. Für diese wechselseitige Marktöffnung, bei der die EU mit dem Abbau der Zölle und Beschränkungen voranging, wurde ein Zeitraum von maximal zehn Jahren vorgesehen. Mittlerweile sind auch in den sensiblen Bereichen Stahl, Kohle und Textilien die Zölle und mengenmäßigen Begrenzungen beseitigt worden. Von Anbeginn bemängelten kritische Stimmen die geringfügige Öffnung des EU-Markts für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den MOE-Staaten und die protektionistische Praxis der EU in diesem wie anderen sensiblen Bereichen. Allerdings räumen die Europaabkommen auch den assoziierten Staaten die Möglichkeit ein,

Sektoren vorübergehend vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, die sich, wie zum Beispiel die Mineralölindustrie oder die Schwerindustrie, im Prozess der Umstrukturierung befinden.
Die Europaabkommen bereiteten auf breiter Front, zum Beispiel in den Bereichen Wettbewerbspolitik, freier Warenverkehr, Normen und Standards des Binnenmarkts sowie Niederlassungsfreiheit, die Übernahme des gesamten rechtlichen und politischen Besitzstandes der EU (Acquis communautaire) vor. Mit dem Ziel der EU-Mitgliedschaft stiegen jedoch die Anforderungen an die Umsetzungskapazitäten und die daraus erwachsende Qualität der Übernahme des Acquis, der dann - gegebenenfalls nach Ablauf von Übergangsfristen - ausnahmslos Anwendung finden muss.
In den bilateralen Europaabkommen mit den MOE-Staaten wurde der institutionalisierte politische Dialog erstmals rechtlich verbindlich verankert. Er findet jährlich auf Ministerebene im Assoziationsrat und zweimal pro Jahr auf Ebene hoher Beamter im Assoziationsausschuss statt. Die Europaabgeordneten treffen sich ebenfalls zweimal jährlich in einem gemeinsamen Ausschuss mit Parlamentsangehörigen der assoziierten Länder. So entwickelt sich ein enger politischer Austausch. Seit Mitte der neunziger Jahre wurden die Europaabkommen zunehmend als Instrumente zur praktischen Beitrittsvorbereitung genutzt.
Für die Beitrittsländer, die nicht in der ersten Erweiterungsrunde berücksichtigt werden (Bulgarien, Rumänien), bleiben sie das Rückgrat der vertraglichen Beziehungen zur Europäischen Union.

Stationen der Erweiterung

Die EU-Erweiterungspolitik verlief in den neunziger Jahren schrittweise und richtete sich nach den Entscheidungen des Europäischen Rats. Sie gründeten meist auf Vorschlägen und Vorarbeiten der Europäischen Kommission, die zusammen mit einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland, Großbritannien und den skandinavischen Ländern zum Motor der Erweiterung wurde. Den Startschuss gab der Gipfel in Kopenhagen 1993. Dort verkündeten die Staats- und Regierungschefs die politische Bereitschaft zur Aufnahme der assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder. Diese Zusicherung wurde jedoch an die Erfüllung von Beitrittskriterien geknüpft. Diese so genannten Kopenhagener Kriterien beruhen auf den

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Bestimmungen der europäischen Verträge und umfassen sowohl wirtschaftliche als auch politische Voraussetzungen einer Mitgliedschaft. Die politischen Kriterien müssen zum Zeitpunkt der Eröffnung von Verhandlungen erfüllt sein; die übrigen zum Zeitpunkt des Beitritts.

Beitrittskriterien

Die Kopenhagener Kriterien benennen folgende Voraussetzungen:

· Stabilität der Demokratie und ihrer Institutionen. Das Bewerberland muss also über einen Rechtsstaat und ein Mehrparteiensystem verfügen sowie die Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten gewährleisten.

· Funktionierende Marktwirtschaft mit den Komponenten: Preis- und Handelsliberalisierung, funktionierendes Rechtssystem inklusive Eigentumsrechte, makroökonomische Stabilität, grundsätzlicher Konsens über die Wirtschaftspolitik, gut entwickelter Finanzsektor, Abwesenheit von Marktzutritts- und -austrittshindernissen. Eine Bedingung ist auch, dass die Marktwirtschaft der Bewerberländer dem Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt standhält. Indikatoren hierfür sind ein stabiler makroökonomischer Rahmen, der Erwartungssicherheit für die Wirtschaftsakteure herstellt, die ausreichende Ausstattung mit Human- und Anlagekapital sowie Infrastruktur, die Restrukturierung staatlicher Unternehmen, Investitionstätigkeit und Zugang zu externen Finanzquellen.

· Übernahme aller Rechte und Pflichten, die sich aus der Mitgliedschaft ergeben (Übernahme des gemeinschaftlichen Acquis).

· Einverständnis mit den Zielen der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion.
Die EU legt diese Merkmale zu Grunde, wenn sie die individuelle Beitrittsreife der einzelnen Bewerberländer bewertet. Es gilt dabei das Prinzip der Differenzierung, nicht das einer Gruppenbehandlung.
Darüber hinaus hat die EU in Kopenhagen aber auch das Problem der eigenen Erweiterungsfähigkeit thematisiert und als zusätzliches Kriterium genannt:

· Bewahrung der internen Reformfähigkeit der EU.

Zwischen 1994 und 1996 stellten zehn mittel- und osteuropäische Staaten Beitrittsanträge. Die Türkei hatte dies bereits 1987 getan, Zypern und Malta 1990. Der 1992 eingereichte Antrag der Schweiz ruht, da deren Bevölkerung bereits im Dezember desselben Jahres die Aufnahme in den Europäischen Wirtschaftsraum in einem Referendum ablehnte.


Heranführung zum Beitritt

Die nächste Etappe der Beziehungen folgte 1994. Der Europäische Rat in Essen beschloss eine Heranführungsstrategie zur Vorbereitung der assoziierten Länder auf den Beitritt, die in den folgenden Jahren immer weiter ausgebaut und im Lichte der Bedürfnisse der Bewerberländer überarbeitet wurde.

Zentrale Bestandteile der Heranführungsstrategie sind die Umsetzung der Europaabkommen und die Unterstützungsmaßnahmen in Form des Phare-Programms (Poland and Hungary Action for Restructuring of the Economy) sowie der Instrumente für die Anpassung der Landwirtschaft (Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development, Sapard) und für die regionale Entwicklung (Instrument for Structural Policies for Pre-Accession, ISPA). Dafür stehen im Zeitraum 2000 bis 2006 insgesamt circa 22 Milliarden Euro zur Verfügung. Schwerpunkte des Phare-Programms sind die Stärkung der Kapazitäten von Justiz und Verwaltung mit Hilfe nationaler Experten aus den Mitgliedstaaten sowie die Unterstützung von Investitionen im Zusammenhang mit der Übernahme und Umsetzung des Acquis, zum Beispiel bei der Zertifizierung und Lizenzierung von Produkten auf Unternehmensebene. Damit Verwaltung und Justiz die Umsetzung des mehr als 80000 Seiten umfassenden Acquis bewältigen, wurde 2002 ein spezieller Aktionsplan aufgelegt und mit zusätzlichen Mitteln von bis zu 250 Millionen Euro ausgestattet. Für die EU ist die einheitliche und korrekte Anwendung des EU-Rechts - zum Beispiel beim Einsatz von Fördermitteln oder bei der Lebensmittelkontrolle - wichtig. Dafür haben in erster Linie die Mitgliedstaaten und ihre subnationalen Ebenen bzw. Gliedstaaten, in Deutschland also die Länder, Sorge zu tragen. In den Bewerberländern mussten entsprechende Behörden und Kontrollagenturen von der lokalen bis zur nationalen Ebene häufig erst geschaffen und in

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einen Entscheidungs- und Vollzugskreislauf eingebaut werden. Die genannten Hilfsprogramme werden eng mit den Beitrittspartnerschaften verzahnt, die die EU speziell für die strukturierte Beitrittsvorbereitung der MOE-Länder entwickelt hat. Mit den zehn Ländern handelte die Kommission Beitrittspartnerschaften aus, die die kurz- und mittelfristigen Prioritäten der Anpassung an den Acquis und zugleich die finanzielle Unterstützung der EU festlegen. Diese Partnerschaften fußen wiederum auf Nationalen Programmen zur Anpassung an den Acquis (NPAA), die von den Regierungen der Bewerberländer jährlich vorgelegt werden müssen. Die Erweiterungspolitik der EU zeigt so deutlich paternalistische Züge, die allerdings teilweise von den Beitrittsländern mit ihrem Ruf nach Fahrplänen und klaren Vorgaben provoziert wurden. Für Malta, Zypern und die Türkei gilt die Heranführungsstrategie in modifizierter Form, da sie nicht mit den spezifischen Transformationsproblemen zu kämpfen haben. Um die besondere Bedeutung des Verhandlungs- und Beitrittsprozesses zu unterstreichen, sieht die EU auch in unregelmäßiger Folge Sondertreffen des Rats mit den Repräsentanten aus den zwölf Kandidatenländern zu informellen multilateralen Gesprächen vor. Darüber hinaus wurde eine Europakonferenz eingerichtet, an der ursprünglich die EU-15, die dreizehn Bewerberländer und weitere Länder teilnahmen, die prinzipiell für einen EU-Beitritt in Frage kommen, mit denen die Union jedoch (noch) keine Verhandlungen führt. Im Oktober 2001 fand unter dem Eindruck der Terroranschläge in den USA vom 11. September eine solche Tagung im Kreis von 40 Staaten statt, darunter auch erstmals Russland sowie die Ukraine und Moldawien. Die Europakonferenz hat keine praktische politische Bedeutung. Sie soll aus Sicht der EU vor allem unterstreichen, dass sie auch jenseits konkreter Beitrittsverhandlungen eine enge Kooperation und Partnerschaft mit allen europäischen Nachbarn anstrebt und einer Politik der Ausgrenzung und neuen Spaltung entgegenwirken will. Konkrete Beitrittsverhandlungen Im Juli 1997 legte die Kommission im Rahmen ihrer "Agenda 2000" vorläufige Stellungnahmen zu den Anträgen der zehn Länder mit Europaabkommen vor. Der Europäische Rat folgte auf dem Luxemburger Gipfel 1997 dem Kommissions-Vorschlag, ab März 1998 mit Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern, der so genannten

Luxemburg-Gruppe, konkrete Beitrittsverhandlungen zu beginnen, während die übrigen Länder zunächst nur in den allgemeinen Beitritts- und Verhandlungsprozess einbezogen wurden. Die Slowakei war nicht in die Luxemburg-Gruppe aufgenommen worden, weil sie unter der Regierung von Ministerpräsident Vladimir Meciar wiederholt gegen die politischen Kriterien des Beitritts verstoßen hatte. Lettland, Litauen und nach dem Regierungswechsel in Bratislava auch die Slowakei hatten bereits Ende 1998 gute Aussichten, bald mit den Gesprächen zu beginnen. Das galt ebenso für Malta, das erst im September 1998 seinen zwischenzeitlich ruhenden Antrag wieder aufleben ließ. Dagegen schien die sozio-ökonomische Lage in Rumänien und Bulgarien für einen Aufstieg in die Verhandlungsgruppe noch zu ungefestigt.

Der Kosovo-Krieg 1999 und die nachfolgende Neubewertung der sicherheits- und geopolitischen Bedeutung der Erweiterung provozierte jedoch auf dem Gipfel von Helsinki im Dezember 1999 einen Tempo-, wenn nicht Kurswechsel der EU. Im Februar 2002 nahm sie Beitrittsverhandlungen mit Lettland, Litauen, der Slowakei, Bulgarien, Rumänien und Malta auf, der so genannten Helsinki-Gruppe. Der Türkei, die schon 1987 die EG-Mitgliedschaft beantragt hatte, wurde in Helsinki zwar der politische Status einer Beitrittskandidatin zuerkannt, unter Verweis auf die mangelhafte politische Beitrittsreife des Landes wurden jedoch keine Beitrittsverhandlungen eröffnet. Als Vorstufe zu Verhandlungen schloss die EU erstmals im März 2001 eine Beitrittspartnerschaft mit der Türkei. Diese legte im selben Monat ein Nationales Programm für die Übernahme des Acquis vor, in welchem sie die grundsätzliche Bereitschaft zur uneingeschränkten Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes erklärte und detaillierte Schritte zur Erreichung dieses Ziels darlegte.

Auf dem Erweiterungsgipfel von Kopenhagen im Dezember 2002 beschlossen die Staats- und Regierungschefs die Aufnahme von zehn Ländern. Mit dem Stichdatum 1. Mai 2004 können Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern Mitglieder der Europäischen Union werden. Damit vollzieht die EU die größte Erweiterungsrunde ihrer Geschichte.

Nachdem die Kommission ihre positive

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Stellungnahme zum Beitritt der zehn Länder bereits am 19. Februar veröffentlicht hatte, stimmte das Europäische Parlament am 9. April 2003 mit absoluter Mehrheit der Beitrittsakte zu. Die notwendige einstimmige Entscheidung des Rates folgte am 14. April.
Am 16. April 2003 unterzeichneten die Vertreter der Mitgliedstaaten und der Beitrittsländer auf dem Gipfel in Athen die Beitrittsakte.
2003/04 soll der Beitritt in allen 15 EU-Staaten und den Bewerberländern (dort inklusive Volksabstimmungen über den Beitritt) ratifiziert werden, wonach am 1. Mai 2004 für jene Länder, die die Ratifizierung erfolgreich abgeschlossen haben, die Mitgliedschaft wirksam wird.
Im Juni 2004 kann die Bevölkerung der neuen Mitgliedsländer an den Europawahlen teilnehmen.
Die Beitrittsverhandlungen mit Rumänien und Bulgarien wurden unmittelbar nach dem Kopenhagener Gipfel fortgesetzt. Der Europäische Rat in Kopenhagen hat 2007 als Zieldatum vorgesehen, den Beitrittsfahrplan für beide Länder überarbeitet und die Heranführungshilfe um etwa 20 Prozent aufgestockt. Sollten Rumänien und Bulgarien 2007 beitreten, würden beträchtliche Ausgaben bei der Agrar- und Strukturpolitik auf die Europäische Union zukommen. Über die weitere Behandlung der Kandidatur der Türkei soll 2004 entschieden werden.

Ablauf des Beitrittsverfahrens

Nach etwa fünf Jahren haben zehn Länder einen komplizierten Verhandlungsprozess abgeschlossen. Das generelle Beitrittsverfahren ist im Artikel 49 des EU-Vertrags geregelt. Danach kann jeder europäische Staat, der die Grundsätze der EU achtet (Artikel 6,1 EUV; für die Wirtschaftspolitik auch Art. 4,1 EGV), einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Dieser wird vom Rat an die Kommission zur vorläufigen Stellungnahme weitergeleitet. Sie begründet ihre Einschätzung der Beitrittsreife des betreffenden Bewerberlandes ausführlich.
Der Rat, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind, entscheidet daraufhin einstimmig über die Eröffnung von Verhandlungen, ohne an die Kommissionsempfehlung gebunden zu sein. Sie werden immer bilateral, nicht als Gruppenverhandlungen geführt. Der Ratsvorsitz wird dabei von der Kommission unterstützt. Der Acquis steht nicht zur

Disposition. Vielmehr müssen neue Mitglieder all das in nationales Recht übernehmen und praktisch umsetzen, was zum Zeitpunkt ihres Beitritts als Besitzstand der Union gilt. Auf Antrag sind lediglich befristete Übergangsregelungen möglich. Die EU verfügt zwar über die größere Verhandlungsmacht, ist aber um tragfähige Lösungen bemüht. Nachverhandlungen, welche die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten nach der Erweiterung schwer belasten könnten, sollen so vermieden werden.
Für die Verhandlungen wird der EU-Besitzstand in bislang 31 Kapitel unterteilt. Zu jedem einzelnen von ihnen reichen die Bewerberländer ihre Forderungen nach Übergangsregelungen ein. Die Kommission legt dann dem Rat Entwürfe für einen gemeinsamen Standpunkt der EU, das heißt, aller 15 Mitgliedstaaten, vor. Dies ist häufig der schwierigste Teil der Arbeit, weil die Mitgliedstaaten unterschiedlich stark von den Regelungen für die neuen Mitglieder betroffen sind und mit Rücksicht auf ihre Landwirtschaft, ihr Transportgewerbe, ihre armen Regionen oder allgemein ihre "nationalen Interessen" Position beziehen.
Erst wenn sich die 15 auf einen gemeinsamen Standpunkt geeinigt haben, wird er den Bewerbern übermittelt. Nach und nach werden die Kapitel vorläufig geschlossen, das heißt, es ist nichts endgültig besiegelt, solange nicht die letzte offene Frage einvernehmlich zwischen den Vertragsparteien geregelt wurde.
Die besonders schwierigen Problempunkte werden normalerweise im Paket und auf höchster politischer Ebene beschlossen, so dass durch "Koppelgeschäfte" insgesamt für jeden ein akzeptabler Kompromiss gefunden werden kann. Diese auch als "Kuhhandel" kritisierte Form der Problemlösung ist durchaus typisch für die EU. Es gilt weniger, die unter sachlichen und finanziellen Gesichtspunkten beste Lösung zu finden, als vielmehr eine, der alle zustimmen können, weil ihre jeweiligen Interessen insgesamt ausreichend berücksichtigt worden sind.
Der Beitrittsvertrag wird zunächst dem Europäischen Parlament zur Ratifizierung vorgelegt, das mit der absoluten Mehrheit zustimmen muss. Der Rat entscheidet, nachdem er nochmals eine Stellungnahme der Kommission eingeholt hat, einstimmig. Dann wird der Beitrittsvertrag von den Vertretern der EU-Mitgliedstaaten und dem jeweiligen Bewerberland unterschrieben. Auch nationale Parlamente haben als Ratifizierungsorgane völkerrechtlicher Verträge in der Regel nur das Recht der Zustimmung oder Ablehnung, aber

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- anders als ihre Regierungen - wenig Einfluss auf die konkreten Inhalte des Vertrags. Gleiches gilt für das Europäische Parlament.
Mehrere Beitrittsverträge können in einer Beitrittsakte zusammengefasst und als Ganzes zur Ratifikation an die Mitgliedstaaten gegeben werden. Auch dort müssen in der Regel die nationalen Parlamente zustimmen. In den Bewerberländern stimmen dann die Parlamente und in den meisten Fällen die Bevölkerung über den Beitritt ab. Erst wenn alle Ratifikationsurkunden hinterlegt sind, wird der Beitritt zum vertraglich vereinbarten Termin - für die nächste Erweiterung der 1. Mai 2004 - wirksam. Es gibt also viele Akteure, die im Ratifizierungsprozess ein Veto einlegen oder Verzögerungen bewirken können.

Global und europäisch

Nicht zum ersten Mal wird Europa größer: Seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1957 gab es vier Erweiterungsrunden. 1973 traten Dänemark, Großbritannien und Irland bei, 1981 Griechenland, 1986 Portugal und Spanien und zuletzt 1995 Finnland, Österreich und Schweden.

Ein gewagter Schritt

Doch diesmal ist fast alles anders. Besonders die Aufnahme der acht osteuropäischen Beitrittskandidaten stellt die Europäische Union vor Probleme bislang ungekannten Ausmaßes. Wenn spätestens am 1. Mai 2004 in den Zentralen der großen europäischen Konzerne die Champagnerkorken knallen, wird die Bevölkerungszahl der EU um 75 auf 451 Millionen gestiegen sein.
Und wir dürfen uns an der Aussicht begeistern, dass ein Wirtschaftsraum im Entstehen begriffen ist, der auf globalem Parkett der Wirtschaftsmacht USA Paroli bieten kann. Tatsächlich wird ja das addierte Bruttoinlandsprodukt der fünfundzwanzig Mitgliedsstaaten mit 9.200 Milliarden Euro dem der Vereinigten Staaten nahezu gleichkommen.

Herrschaft der Eliten

In einer Welt, in der wirtschaftliche und damit politische Mächte längst virtuell geworden sind, die Bindung an konkrete Orte und Räume verloren haben, könnte sich das allerdings rasch als Milchmädchenrechnung erweisen. Egal, welchen Ausschnitt der Wirklichkeit wir

betrachten: Herrschaft wird seit geraumer Zeit von global verknüpften Eliten ausgeübt, deren multinationaler Charakter sie jedem Versuch einer lokalen Zuordnung - sei es nun New York, Tokio oder Frankfurt – entschlüpfen lässt.

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Wirtschaftliche Leistungen Im Vergleich

Global statt national

So erscheint es heute schon sinnlos, von europäischen oder US-amerikanischen Finanzeliten zu sprechen, sind doch deren Netze längst weltweit gesponnen, sind die einen doch längst ununterscheidbar in den anderen aufgegangen. Dies ist schlicht das Resultat der unbegrenzten Flexibilität des Kapitals, der ungebremsten Möglichkeit, Finanzströme in beliebige Richtungen zu lenken. National- Staatliche Einflusschancen tendieren dabei gegen Null. Folglich können auch die Regulierungschancen noch so umfassender Blöcke von National- Staaten nicht wirksamer sein als bisher.

Beschränkte Flexibilität

Ganz abwegig ist die Rede von separaten Wirtschaftsräumen dennoch nicht. Denn was auf Finanzströme uneingeschränkt zutrifft, nämlich absolute Flexibilität, gilt nur mit gewissen Grenzen für Warenströme - und es gilt in erheblich reduziertem Ausmaß auf der Seite der lebendigen Arbeitskraft.
Gerade letzteres ist der eigentliche Störfaktor

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im Projekt Globalisierung: Wenn ein Dollar überall auf der Welt ein Dollar ist, dann müsste ja schließlich auch die Einheit Arbeitskraft überall auf der Welt den gleichen Wert besitzen. Nationalstaatlich verankerte Wertunterschiede, etwa verschiedene Sozialsysteme oder Entlohnungsstandards, wären idealerweise einzuebnen. Der freie Warenverkehr, besonders von Investitions- Gütern, übernähme dabei die Rolle eines flankierenden Instruments.

Gleiche Qualität, billiger produziert

Schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben deutsche Konzerne massiv in Osteuropa investiert. Allein 2001 betrugen die direkten Investitionen etwa 3,6 Milliarden Euro. Rund 350.000 Polen, Tschechen und Ungarn arbeiten in deutschen Unternehmen in ihrem jeweiligen Heimatland.
"Die Neuinvestitionen sichern eine ähnlich hohe Qualität wie hierzulande bei ungleich niedrigeren Löhnen," erklärt dazu Der Spiegel. "Folglich sprudeln die Gewinne weit kräftiger als im Westen." Aus der Sicht der globalen Finanzeliten sind derartige unterschiedliche Effekte wertmäßig gleicher Investitionen nur kostenträchtige Unregelmäßigkeiten, die der Entfaltung des totalitären Marktes entgegen- stehen. Ein "Befreiungsschlag" ist vonnöten. Wie könnte das besser geschehen, als durch die Schaffung einheitlicher Wirtschaftsräume, in denen der Wert der lebendigen Arbeitskraft sich langfristig auf ein gemeinsames Niveau einpendeln muss? Was vereinigungstechnisch als Problem erscheint, ist in den Augen der Finanzeliten ein Potenzial: die sozialen Diskrepanzen zwischen Alt- und Neumitgliedern der EU. Sie bieten die Chance einer Vereinheitlichung nach unten und damit einer massiven Verbilligung der lebendigen Arbeitskraft.

Die östlichsten Kandidaten Rumänien, Bulgarien und die Türkei müssen allerdings noch auf die Zustimmung warten.
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So war es einmal geplant:
Die östlichsten Kandidaten Rumänien, Bulgarien und die Türkei müssen allerdings noch auf die Zustimmung warten.

Dramatisches Einkommensgefälle

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) konstatierte schon im Jahr 2000: "Im Falle der Osterweiterung ist das Einkommens- gefälle zwischen EU und Beitrittskandidaten höher als in vergangenen Erweiterungs- runden.

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Meilensteine

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der zehn mittel- und osteuropäischen Länder bemisst sich 1997 zu Kaufkraftparitäten auf 30 bis 40 Prozent ... des durchschnittlichen Niveaus der gegenwärtigen EU-Mitglieder. Demgegenüber erwirtschaftete Griechenland Ende der siebziger Jahre ein BIP pro Kopf von etwa 70 Prozent, Portugal und Spanien lagen in der ersten Hälfte der achtziger Jahre bei 60 bzw. 70 Prozent des durchschnittlichen Niveaus der damaligen Gemeinschaft."

Angleichung nach unten

Kritiker der Osterweiterung verweisen auf den wesentlichen Unterschied zu bisherigen Erweiterungsrunden: Die Bevölkerung der EU wachse mit der Erweiterung um 28 Prozent;

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die Wirtschaftskraft nehme, gemessen am BIP, um lediglich 5 Prozent zu.
Stagnierendes Wirtschaftswachstum und hohe Arbeitslosigkeit bei den alten Mitgliedern ließen keine nennenswerte Abnahme des Wohlstandsgefälles zugunsten der neuen Mitglieder erwarten. Statt dessen sei eine umgekehrte Entwicklung realistisch: die Angleichung des Lebensstandards in den reichen Mitgliedsländern an den der ärmeren. Einherzugehen mit der langfristig absehbaren Vereinheitlichung der Durchschnitts- Einkommen auf niedrigem Niveau, scheint innerhalb der EU-Länder noch die verstärkte Differenzierung von Einkommen: Einschnitte bei den staatlichen Sozialausgaben, die Privatisierung staatlicher Unternehmen und die Stillegung unrentabler Bereiche in Industrie und Landwirtschaft könnten gerade in den neuen Mitgliedsländern des Ostens zur Verarmung breiter Bevölkerungskreise führen.
Dem gegenüber stünden prosperierende Zentren mit vergleichsweise hohen Einkommensstandards, in denen die von der EU geforderte Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet ist. Langfristig gesehen könnte die Erweiterung der erste Schritt zu einem Europa ohne nationalstaatlich verankerte soziale Unterschiede sein. Die soziale Differenzierung innerhalb der Gesellschaften hingegen würde zunehmen. Arm wäre arm und reich wäre reich, egal ob in der Slowakei, Polen, Spanien oder Deutschland. Vielleicht ist dieser Prozess unvermeidbar und sogar wünschenswert: Die global agierenden Finanzeliten hätten dann nämlich tatsächlich jene "Internationale" im Kern identischer Arbeitnehmerinteressen geschaffen, von der marxistisch orientierte Theoretiker einst träumten.

Welle aus dem Osten?

Tag für Tag durchforstet so mancher der 4,6 Millionen deutschen Arbeitslosen die Stellenbörsen im Internet: "Bitte wählen Sie ihre gewünschte Region" steht dann zum Beispiel im Auswahlmenü. Bleib´ ich hier, geh´ ich in den Norden oder vielleicht in den Süden? Nur den ganz Flexiblen ist es egal. Ach ja, und manchmal kann man sogar Österreich oder die Schweiz anklicken, mal sehen, was es da so gibt. Aber dort macht man doch Urlaub, dort arbeitet man nicht!
Am schönsten ist es zu Hause
Uns Deutschen fällt es schwer, einen Job außerhalb des eigenen Landes richtig gut zu

finden. Viel zu sicher fühlen wir uns hier - trotz Arbeitslosigkeit und Kürzungen im Sozialbereich. Dabei soll es doch Räume eröffnen, dieses vereinte Europa. Politiker proklamieren die uneingeschränkte Wahl des Arbeitsplatzes, egal wo, wenn es nur irgendwo auf dem Gebiet der Europäischen Union ist.

Die sesshaften Europäer

Wirklich angenommen hat die große Mehrzahl der Arbeitnehmer das Angebot jedoch nicht. Etwa 5,5 Millionen Menschen leben und arbeiten außerhalb ihres Heimatlandes. Das entspricht ganzen 1,5 Prozent aller Europäer. Zu tief gehen die Wurzeln und zu hoch sind die Sprachbarrieren.
Aber jetzt, wenn mit der Osterweiterung vermeintlich "Wanderungswillige" aus armen Regionen zur Union gehören, werden Ängste laut. Die freie Wahl des Arbeitsortes gilt schon lange als erstrebenswert. Doch vorerst bleibt sie eingeschränkt. Das Credo ist einfach: Wir treiben mit euch Handel, aber ihr kommt bitte nicht zu uns und nehmt unseren Bürgern die Arbeitsplätze weg! So zumindest sieht man es im deutschsprachigen Teil Europas. Der wäre besonders betroffen, wenn sich große Massen von Esten, Letten, Polen, Ungarn, Slowenen, Litauern, Slowaken oder Tschechen gen Westen bewegen und zuallererst Deutschland und Österreich als direkte Nachbarn heimsuchen.
Um dergleichen zu vermeiden, hat man sich auf Übergangsfristen für den Zuzug von Arbeitskräften aus den neuen mittel- und osteuropäischen EU-Ländern geeinigt. Während der ersten beiden Jahre will man die Zuwanderung streng kontrollieren aber auch flexibel handhaben. Dort, wo Arbeitskräfte benötigt werden, jedoch nicht vor Ort vorhanden sind, dürfen Zuzügler aus dem Osten die Jobs annehmen. Ist der Bedarf aber gedeckt, bleiben sie draußen.
Dann will man den Andrang von Arbeitskräften aus dem Osten überprüfen. Schadet er dem heimischen Arbeitsmarkt, so verlängert sich die Frist nochmals um drei Jahre bis zur nächsten Überprüfung. Nach sieben Jahren allerdings ist Schluss mit jeder Regulierung.

Experten: Keine Völkerwanderung

Aber wie berechtigt ist die Angst vor Massen von Bewerbern, die hinter den Grenzen bloß darauf warten, für Dumpinglöhne auf dem Bau und am Fließband zu arbeiten? Ganz unterschiedliche Studien kommen zu ähnlichen

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Ergebnissen: Sie prognostizieren etwa 120.000 bis 160.000 Zuwanderer aus den Beitrittsstaaten pro Jahr für die ersten zehn Jahre nach der EU-Erweiterung - für ganz Europa. Zum Vergleich: Zwischen 1992 und 2001 lag allein die Zahl der Zuwanderer aus aller Welt, die nur nach Deutschland kamen, bei jährlich weit über 800.000.

Viele Gründe, um auszuwandern

Betrachtet man die wirtschaftliche und soziale Situation der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer, wird schnell klar, wo die Migrationsangst herkommt: Schlechte soziale Absicherung, hohe Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen - die Liste der Gründe ist lang, weshalb Menschen ihre Heimat im Osten Europas verlassen könnten. Gewiss werden sich Arbeitsuchende auf den Weg in den Westen machen, um dort ihr Glück zu finden. Doch deren Anzahl dürfte überschaubar bleiben. Darauf deuten Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit hin: Als mit Spanien, Portugal und Griechenland drei ärmere Länder der EU beitraten, blieb eine Migrationswelle in die reicheren Länder aus.
Ganz im Gegenteil: Viele, die lange vorher ausgewandert waren, gingen wieder in ihre Heimat zurück, weil sie einen wirtschaftlichen Aufschwung erwarteten. Und nach dem Fall der Mauer prophezeite man die Völker- Wanderung innerhalb Deutschlands: Von den fünf Millionen Ex-DDR-Bürgern, die laut Umfragen einen Umzug in die alte Bundesrepublik in Erwägung zogen, haben es jedoch nur zwei Millionen getan. Denn es gibt mindestens ebenso viele Gründe, um in der Heimat zu bleiben: Verbundenheit mit der eigenen Geschichte, familiäre Bindungen, Geldmangel. Vor allem ist es aber die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung und auf neue Arbeitsplätze, die viele Menschen in den Beitrittsländern hegen. Ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt. Auf absehbare Zeit aber ist die Erwartung stark: Die EU wird´s schon richten!

Pendler in den Grenzregionen

Die kleine Alternative zum Umzug in ein anderes Land bietet sich den Bewohnern der Grenzregionen: Pendler überqueren bereits jetzt zu Tausenden an jedem Tag die Oder, um in Deutschland beziehungsweise in Polen zu arbeiten. Ähnlich sieht es an der Grenze des Freistaats Bayern zur Tschechischen Republik aus.

Polen

Als Nachbar Deutschlands und damit der alten EU bestehen mit Polen schon länger enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen. Von allen Beitrittsländern besitzt Polen den größten EU-Markt. Doch Polens Wirtschaft lahmt seit Jahren: Hohe Arbeitslosigkeit, eine stockende Privatisierung und die noch andauernde Restrukturierung der Wirtschaft belasten das Wachstum des Landes.

Streit um Subventionen

Ein großes Problem bei der Integration in die Europäische Union wird die Subventionierung und Umgestaltung der Landwirtschaft sein. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der polnischen Wirtschaft. Bereits bei den Verhandlungen um einen Beitritt Polens waren Zuschüsse aus Brüssel für die Bauern ein Streitpunkt.

Störende Korruption

Schatten auf das Streben Polens nach Europa wirft die Korruption im Land. Vor allem im öffentlichen Sektor spielt sie eine große Rolle: Beamte, Ärzte, Lehrer oder Professoren - sie sitzen in gesellschaftlich wichtigen Positionen, werden aber miserabel bezahlt. So müssen sie häufig ihre Stellung nutzen, um auf andere Weise an Geld zu kommen.

Problemkind Sozialwesen

Handlungsbedarf gibt es auch noch im Sozial- und Gesundheitswesen: Zwar steht die deutsche Regierung seit einigen Jahren beratend zur Seite, aber erst 1999 wurden grundlegende Reformen eingeleitet - bisher jedoch mit wenig Erfolg.
Aus deutscher Sicht hätte ein Beitritt Polens viele Vorteile: Mehr als ein Drittel des polnischen Außenhandels wird mit Deutschland getätigt und deutsche Unternehmen sind die wichtigsten Investoren in Polen. Skeptiker jedoch befürchten eine Schwemme von Billiglohn-Arbeitern, die den Bundesländern im Osten Deutschlands noch mehr Arbeitslose bescheren könnte.

Tschechische Republik

Deutschland ist für die Tschechische Republik mit Abstand der wichtigste Handelspartner. Über 26 Prozent aller Direktinvestitionen

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flossen im Jahr 2002 aus der Hand deutscher Unternehmen in das Land. Die Republik gilt als Musterland von Reformen nach dem Ende des Ostblocks, doch bleiben immer noch viele Probleme auf dem Weg in die EU zu lösen.

Ärger um Benes-Dekrete

Eines davon geriet erst mit dem angestrebten EU-Beitritt wieder ins Rampenlicht: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die verbliebenen Deutschen im Sudetenland enteignet, entrechtet und vertrieben. Grundlage dafür waren die "Benes-Dekrete", Anordnungen, mit denen der damalige Staatspräsident Edvard Benes die Vertreibungen billigte. Diese Dekrete erklärte Regierungschef Milos Zeman 1999 für erloschen. Dennoch bleibt die Forderung von Seiten christdemokratischer deutscher Politiker und von Vertriebenen- Verbänden, die Dekrete im Parlament förmlich aufzuheben. Ungeachtet politischer Querelen um Dekrete aus der Vergangenheit, an den Grenzgebieten zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik blüht bereits ein lebhafter Handel. Auch arbeiten schon viele Tschechen in Deutschland. Für sie gelten besondere Regelungen, welche die Arbeit in Deutschland ermöglichen:

2002 wurden per Gesetz die Bedingungen für Arbeit und Aufenthalt unter anderem von Tschechen erleichtert, die als Haushaltshilfen für Pflegebedürftige angestellt sind. Doch auch hochqualifizierte Kräfte sind im Rahmen des "Greencard-Programms" der Bundesregierung willkommen, was aber bisher kaum auf Resonanz stieß.

Litauen

Es ist das größte und wirtschaftliche stärkste der drei baltischen Länder, die der EU beitreten wollen. Nach der Unabhängigkeit des Baltikums wurde ihr wirtschaftlicher Aufstieg oft als "Wirtschaftswunder" dargestellt. Interessant ist dabei, dass der Dienstleistungssektor in Estland, Lettland und Litauen den mit Abstand größten Teil des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.

Den Blick in Richtung Westen

Trotz häufiger Regierungswechsel in den vergangenen Jahren bleibt die Zielsetzung der Litauer klar: Sie wollen in die Europäische Union. Ein deutliches Zeichen dafür setzte Litauen 1999. Die Landeswährung Litas wurde vom amerikanischen Dollar als Referenz- Währung abgekoppelt und fest an den Euro gebunden. Es war ebenso ein Indiz für den Wandel der Wirtschaft: Bis dato lagen die wichtigsten Handelspartner im Osten. Diese Rolle haben mittlerweile Mitgliedsstaaten der EU wie Deutschland und Großbritannien weitestgehend übernommen. Große Probleme hat Litauen aber noch auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote ist real um einiges höher als die gemeldeten 11,1 Prozent. Die Unterstützung der Arbeitslosen ist gering und dauert nur sechs Monate, so dass viele sich erst gar nicht registrieren lassen. Die deutsche Regierung half beim Aufbau eines Systems zur Arbeitsvermittlung. Aber auch Reformen im Sozialbereich drohen seit Jahren in endlosen Verhandlungen zu versickern. Zudem gibt es noch Probleme im Bereich der Renten, im Arbeitsrecht und im Gesundheitswesen.