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Deutsche Geschichten


Die deutsche Wirtschaft
Die Verflechtung mit der Weltwirtschaft und die politische Bindung an den Westen erleichterte der Bundesrepublik in den 50er Jahren den raschen Wiederaufstieg.

Ökonomische Entwicklung der Bundesrepublik 1945 bis 1961

Das westdeutsche ”Wirtschafts-
wunder” begann erst 1951/52 - und nicht, wie in Rückblicken oft zu lesen, mit der Währungs- und Wirtschafts-
reform vom Juni 1948.

Schlaglicht
Währungsreform
Nachdem am 1. März 1948 die Bank deutscher Länder ge- gründet worden war, wurde am 19. Juni 1948 - einem Samstag - ein Währungsgesetz der drei westlichen Militärgouverneure über Rundfunk und Extrablätter bekannt gegeben.

Mit der D-Mark existierte zwar wieder eine vertrauenswürdige Währung, doch die marktwirt-
schaftliche Ordnung, mit deren Aufbau Ludwig Erhard, Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in der amerikanisch-britischen Besatzungszone, ohne vorherige Zustimmung der Militärregierung begonnen hatte, brachte zunächst nicht die angekündigte grundlegende Wende zum Besseren.
Die neue Wirtschaftsordnung stand in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mehrfach auf dem Prüfstand.

Wirtschaftswunder

Der Durchbruch zum ”selbst-
tragenden” Wachstum gelang in der ersten Hälfte des Jahres 1952. Charakteristisch für das folgende Jahrzehnt waren außergewöhnliche Steige-
rungsraten des Bruttosozial-
produkts und des Außenhan-
dels - Erfolge, die im In- und Ausland bald als ”Wirtschafts-
wunder” apostrophiert wurden. Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard mochte diesen Begriff freilich nicht, war er doch geeignet, die eigentlichen Ursachen des Aufschwungs - dazu zählte für ihn auch sein Wirtschaftsprogramm - zu verschleiern.

Gastarbeiter

Gastarbeiter hatten erhebli-
chen Anteil am deutschen Wirtschaftswunder und trugen zur Sicherung des steigenden Wohlstands bei. Überhaupt waren sie ökonomisch gesehen ein klarer Gewinn: Sie zahlten Steuern, ohne jedoch die soziale Infrastruktur in Anspruch zu nehmen; der Staat musste nur geringe Unterhaltskosten für sie aufbringen und aufgrund des niedrigen Anspruchniveaus sorgten sie für die Aufrecht-
erhaltung wichtiger, aber unpopulärer Dienstleistungen. Gleichzeitig profitierten auch die Entsendeländer: Sie konn-
ten ihre hohe Arbeitslosigkeit erheblich mindern und Geld-

Chronologie
Chronologie 1949-1961

Video
Videobeitrag
1955 - Beitritt der BRD zur NATO!

Literatur
Manfred Görtemaker -
"Von der Siegerherrschaft zum Grundgesetz"; In: "Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland"

überweisungen aus Deutsch-
land kurbelten die Wirtschaft an. Zudem wurden ausländi-
sche Arbeitskräfte beruflich qualifiziert, und konnten – nach der Rückkehr in ihre Heimat-
länder – auf die wirtschaftliche Entwicklung positiven Einfluss nehmen. Lange Zeit wurden die Kriterien für die Vergabe von Arbeitserlaubnissen an Ausländer noch durch die antiquierte Ausländerver-
ordnung aus dem Jahr 1933

Die deutsche Wirtschaft
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geregelt. Eine Erlaubnis galt immer nur für einen bestimmten Arbeitsplatz und wurde nur für ein Jahr erteilt - bei Entlassung oder Kündigung erlosch sie sofort. Erst mit dem Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes 1969 und der Arbeitserlaubnisverordnung 1971 änderten sich diese Bestimmungen. Arbeitserlaubnisse gab es nun je nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes; sie konnten jederzeit wieder entzogen werden. Bis Mitte der sechziger Jahre kamen die meisten Gastarbeiter aus Italien, danach wuchs vor allem die Zahl türkischer Arbeitnehmer. Insgesamt stieg die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer von rund 330.000 im Jahr 1960 über 1,5 Millionen 1969 auf 2,6 Millionen 1973.

Schlaglicht
Gastarbeiter
Bereits im Jahre 1964 wurde der einmillionste Gastarbeiter, ein Portugiese, in der Bundesrepublik Deutschland begrüßt. Bis 1972 verdoppelte sich diese Zahl noch und stieg auf 2.158.551. In den ersten Jahren ging es vornehmlich darum, die ausländischen Arbeitnehmer in ihre Betriebe zu integrieren und dort rechtlich abzusichern. Dadurch, dass viele Gastarbeiter ihre Familien nachholten, gewannen Fragen der Integration in die Gesellschaft und besonders die Schul- und Berufsausbildung der ausländischen Kinder zunehmend an Gewicht.

Wachstum

Zwischen 1950 und 1960 stieg der Index des Bruttosozialprodukts von 100 auf 215; in Preisen von 1954 ausgedrückt, bedeutete dies einen Anstieg von 113 auf 235 Milliarden DM. Die jährlichen Steigerungsraten betrugen durchschnittlich 7,6 Prozent; ein Rekordergeb-
nis mit 11,5 Prozent wurde 1955 erreicht. Im selben Zeitraum wuchs die Industrieproduktion um 149 Prozent, die für den Export wichtige Investitionsgüterindustrie verzeichnete sogar einen Zuwachs von über 220 Prozent. Die Investitionen stiegen von 1952 bis 1960 um 120 Prozent. Der Wert der Aus- und Einfuhren verdoppelte sich von 17 auf 37 bzw. 16 auf 31 Milliarden DM. Dieses außergewöhnliche Wachstum lässt sich folgendermaßen erklären: Die Währungs- und Wirtschaftsreform hatte ihm den Boden bereitet, die Exporterfolge aufgrund des internationalen Korea-Booms gaben ihm die wesentlichen Impulse, und die Investitionen verliehen ihm Beständigkeit. Dass die Bundesrepublik die Chance, welche der Export Anfang der fünfziger Jahre bot, auch tatsächlich nutzen konnte, verdankte sie ihrer auf die spezifischen Weltmarktbedürfnisse zugeschnittenen Industriestruktur, den großen Kapazitätsreserven sowie der großen Zahl hochqualifizierter und hochmotivierter Arbeits-
kräfte. Zusätzlich profitierte die westdeutsche Industrie davon, dass die westlichen Länder während des Korea-Krieges ihre Rüstungs-
produktion auf Kosten des zivilen Sektors ausbauten. Da der Wiedereinstieg in das Rüstungsgeschäft durch alliierte Verbote zunächst blockiert war, konnten sich die

westdeutschen Unternehmen darauf konzentrieren, die Auslandsnachfrage nach Investitions- und Konsumgütern zu befriedi-
gen. Ihre Produkte waren aber auch deshalb attraktiv, weil sie nicht in - überall in Westeuropa knappen - Dollars bezahlt werden mussten. So wuchs das Ausfuhrvolumen beispielsweise nach Frankreich zwischen 1952 und 1958 von 1 auf 2,1 Milliarden und nach Großbritannien von 900 Millionen auf 1,4 Milliarden DM.

Wirtschaftsordnung

Wichtigste Voraussetzung einer marktwirt-
schaftlich-sozialstaatlichen Ordnung war nach Ansicht Ludwig Erhards und seiner Anhänger ein funktionierender Leistungswettbewerb, der andere als marktkonforme oder aus sozialen Gründen gebotene staatliche Eingriffe ebenso ausschloss wie privatwirtschaftlichen Dirigis-
mus. Unmittelbar nach der Amtsübernahme ging Bundeswirtschaftsminister Erhard deshalb daran, dafür den gesetzlichen Rahmen zu schaffen.
Der Streit mit der Industrie um eine Anti-Kartell-Gesetzgebung konzentrierte sich bald auf die Frage, ob ein prinzipielles Kartellverbot angestrebt werden sollte oder lediglich, wie die Industrie wünschte, eine Missbrauchsregelung für den Fall, dass Kartelle sich nicht an die gesetzlichen Vorschriften hielten oder den Wettbewerb völlig unterbanden.
Wegen des anhaltenden Streits zwischen Erhard und der Industrie konnte das ”Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen” erst 1957 im Bundestag verabschiedet werden. Ungeachtet eines generellen Kartellverbots wurden zahlreiche Ausnahmen erlaubt: Konditionen-, Strukturkrisen-, Rationalisierungs-, Export- und Importkartelle; alle anderen Kartelle bedurften der Genehmi-
gung des Wirtschaftsministers. Beide Seiten hatten also Abstriche hinnehmen müssen.
Aufgrund seines Kompromisscharakters und weil es keine Handhabe gegen Unternehmens-
zusammenschlüsse bot, vermochte das Kartellgesetz den in den sechziger Jahren einsetzenden Rekonzentrationsprozess nicht nennenswert zu stören. Dass die westdeutsche Industrie in den folgenden Jahrzehnten dennoch wettbewerblich organisiert und damit im großen und ganzen auch wettbewerbsfähig blieb, war eher dem internationalen Konkur-
renzdruck zu verdanken. Obgleich die Rede vom ”Grundgesetz” der Sozialen Marktwirt-
schaft vor diesem Hintergrund übertrieben erscheint, dürfte die langanhaltende öffentliche Debatte das ordnungspolitische Selbstver-
ständnis der Bundesrepublik entscheidend geprägt haben.
Durchschnittliche Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts von annähernd acht Prozent könnten den Eindruck einer wirtschaftlichen Dynamik entstehen lassen, die keinerlei steuernder Eingriffe bedurft hätte. Konjunkturfördernde Maßnahmen waren in den fünfziger Jahren in der Tat kaum erforderlich, konjunkturdämpfende allerdings sehr wohl: Die große Herausforderung bestand in der ”Meisterung der Hochkonjunktur”, wollte man den gewohnten, große wirtschaftliche und soziale Probleme erzeugenden Zyklus von Boom, Abschwung, Krise und Aufschwung endlich überwinden. Der Bundeswirtschafts-
minister suchte dieser Aufgabe in Zusam-
menarbeit mit der Bank deutscher Länder bzw.

Die deutsche Wirtschaft
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der Bundesbank durch eine Kombination steuer-, kredit- und geldpolitischer Maßnahmen gerecht zu werden.

Flankiert wurden die Aktivitäten durch die berühmten Erhardschen ”Maßhalteappelle”. Von den Gewerkschaften forderte er Zurückhaltung bei den Löhnen, von den Unternehmern bei den Preisen, von den Verbrauchern beim Konsum. Zweimal, 1956 und 1961, waren diese Versuche einer ”antizyklischen” Konjunkturpolitik ”mit erhobenem Zeigefinger” erfolgreich. Dennoch blieb Erhard, seinem demonstrativ zur Schau getragenen Optimismus zum Trotz, besorgt, dass im ”gleichen Maße, in dem durch die Mehrung des Wohlstands die soziale Sicherheit aus eigener Kraft sich verbessert und die Gleichförmigkeit einer nicht mehr von Risiken bedrohten, ständigen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung das Gespenst sozialer Notstände gebannt hat, der Schrei nach immer mehr kollektiver Sicherheit nur immer lauter erschallt.”

Bedeutung des Wirtschaftswunders

Alles in allem war die Boom-Phase, die ja noch bis Anfang der siebziger Jahre dauerte, eine Zeit grundlegender Weichenstellungen.

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Videobeitrag
Edeka-Werbespot mit Peter Frankenfeld

Die Soziale Marktwirtschaft entwickelte sich vor allem dank wachsenden Wohlstands zur allseits anerkannten Wirtschaftsordnung, ein auf Konsens angelegtes Modell der sozialpoliti-
schen Interessenregulierung setzte sich durch, die De-Agrarisierung erhielt einen kräftigen Schub, die Verflechtung der westeuropäischen Volkswirtschaften erreichte eine neue Intensi-
tät.
Das ”Wunder” hatte aber auch seine Schattenseiten - es verdeckte wirtschafts-
strukturelle Fehlentwicklungen, insbesondere die ”Überindustrialisierung”, und förderte das Anspruchsdenken. Zu übertriebenem Stolz bestand ohnehin kein Anlass: Der Boom war das Ergebnis gemeinsamer, zielstrebiger Aufbauarbeit, aber vor allem auch ausländi-
scher Hilfe - und ”glücklicher” Umstände.

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