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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Opposition in der DDR
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Die Ausbürgerung - Anfang vom Ende der DDR
Autor: Wolf Biermann und andere Autoren
ISBN: 3898340449

Buchauszug
Köln 1976 und Leipzig 1989

Das habe sogar ich bemerkt: Zwei meiner Konzerte waren mehr als nur Konzerte. Und deshalb muß ich bei dem einen immer zugleich das andere mitdenken. Beim ersten, am 13. November 1976, spürte wohl jeder, Freund wie Feind in Ost und West, daß etwas Unerhörtes mit uns allen passiert. Aber wie komisch: Keiner wußte so recht warum und was.
Vielleicht war die Genehmigung zu dieser Konzerttournee mitten in den Frösten des Kalten Krieges ein Signal. Sollte etwa ein Prager Frühling in Ostberlin kommen?
Nur drei hoffnungstrunkene Tage danach, am 16. November, ernüchterte uns alle die Nachricht von der Ausbürgerung.
Diese sogenannte »Maßnahme von Partei und Regierung« wurde offiziell damit begründet, daß der DDR-Staatsbürger Biermann die Deutsche Demokratische Republik verleumdet und verraten haben sollte.
Ich werde später darstellen, daß meine Ausbürgerung lange vorher beschlossene Sache war. Ich hätte in Köln auch den ganzen Abend brav »Hänschen klein ging allein ...« singen können, die Fürsten der DDR hätten mich trotzdem nicht wieder reingelassen. Aber so was weiß man halt heute.
Das zweite Konzert dieser Art erlebte ich dreizehn Jahre später, da hatten nämlich DDR-Bürgerrechtler mit einem kecken Coup im einsetzenden Macht- und Kompetenzkuddelmuddel meinen ersten Auftritt in Leipzig durchgesetzt. Die Montagsdemonstrationen reizten und lähmten in einem den Machtapparat. Die jungen Dissidenten mieteten einfach privat! - als sei dies das Hinterzimmer in einer Dorfkneipe - die größte Messehalle der Messestadt.
Tja und da wußten am 1. Dezember 1989 die achttausend Menschen in der riesigen Betonkiste und zugleich die Millionen an den Fernsehern in Ost und West sehr wohl, was die Stunde geschlagen hatte: Der totalitäre DDR-Drache zuckte und schlug noch resigniert um sich im Todeskampf, und sein heimgekehrtes Drachentöterlein Biermann sang ihm das Sterbelied.

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Buchauszug
Ballade von den verdorbenen Greisen


Hey Krenz, du fröhlicher Kalter Krieger
Ich glaube dir nichts, kein einziges Wort
Du hast ja die Panzer in Peking bejubelt
Ich sah Dein Gebiß beim Massenmord
Dein falsches Lachen, aus dir macht Fritz Cremer
Ein Monument für die Heuchelei
Du bist unsre Stasi-Metastase
Am kranken Körper der Staatspartei

Wir wolln dich doch nicht ins Verderben stürzen
du bist schon verdorben genug
Nicht Rache, nein Rente!
im Wandlitzer Ghetto
und Friede deinem letzten Atemzug ...


Als ich in dieser Leipziger Messehalle II meine Lieder sang, da zitterten die Menschen dreifach: vor Freude, vor Angst und vor Kälte. Es herrschten unter dem hohen flachen Dach an diesem Tag nämlich fünf Grad Celsius unter Null. Und es herrschte im Bezirk Leipzig unterm Himmel über dem verrotteten Leuna-Chemie-Giganten Smogalarm Stufe III. Ansonsten klammerte sich noch Honeckers Kreatur Krenz und mit ihm die Wandlitzer Winzclique an die Macht, die verdorbenen Greise im Politbüro der SED warn offensichtlich durchn Wind - verlassen nicht nur von allen guten Geistern, sondern noch schlimmer: von Gorbatschow.
Dennoch nicht zu vergessen: Die drei Waffen der Partei: MfS und NVA und Volkspolizei waren noch voll in Funktion.
Deswegen hatten wir alle die begründete Angst, daß der China-Fan Egon Krenz und seine Genossen aus Panik doch noch die blutige, die gepriesene Pekinger Lösung an uns ausprobieren. Da hätten dann die Panzer in der Heldenstadt Leipzig aus Helden Hackfleisch gemacht und die Innenstadt in einen Platz des Himmlischen Friedens verwandelt.
Ach und widriger als solche Hauptsachen sind oft die Nebensächlichkeiten: ich krähte dort in eine von Bürgerrechtlern improvisierte grausam schwache Tonanlage. Es gab da keinen einzigen Stuhl, keine Bank und kein Nichts in dieser infernalisch halligen Halle, die ja normalerweise genutzt wurde für die Ausstellung von Flugzeugen, Baumaschinen und anderen industriellen Dinosauriern. Die Leipziger standen dicht an dicht auf dem ölverschmierten Betonboden, in Wintermäntel eingehüllt, der Sound war miserabel und trotz alledem, das versteht sich: Ich genoß in dieser stinkenden Tiefkühltruhe die heißeste und bittersüßeste Singerei meines Lebens — kein Triumph aber doch eine Genugtuung.
Voilá - schon laß ich mich treiben ins Erzählen und hinreißen ins Schwärmen und weiß doch: Heute soll nur vom Kölner Konzert die Rede sein. Dort war alles wie umgekehrt. Die Tonanlage perfekt, der letzte Zuhörer hundert Meter entfernt von der Bühne konnte mich hören, als säße er mit mir in der Küche der Chausseestraßenwohnung. Die Halle war beheizt, die Sitze bequem. Jung war ich, und das bedeutet: ich war noch der Alte. Ich verstand mich noch immer als den »wahren« Kommunisten gegen die »falschen«. Die haßgeliebte DDR war mir noch trotz all ihrer lebensbedrohlichen Krankheiten eine verbissene Hoffnung. Und dieses Hoffen hatte damals einen neumodischen Namen: Eurokommunismus.

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Buchauszug
Anfang vom Ende der DDR

Feuilletonistisch flott formuliert höre auch ich es gelegentlich: Die Ausbürgerung des Wolf Biermann war der Anfang vom Ende der DDR. Das ist gut getroffen, aber eben doch daneben. Keine DDR konnte kippen, weil sie irgendeinen Mann mit Gitarre ins deutschdeutsche Exil jagt. Was Deutschland damals erschüttert hat, am meisten die DDR selbst, war der Protest gegen diese Ausbürgerung. Damit hatte auch im Osten kein ausgebuffter Machtapparatler rechnen können, denn dafür gab es keine Erfahrungen. Auf den wütenden Medienkrach im Westen waren die SED-Oberen damals natürlich gefaßt gewesen, aber nicht darauf, daß zum allerersten Mal eine Gruppe von anerkannten Schriftstellern - und gemeinsam! - einen Protest, als Bittbrief kaschiert, öffentlich machte. Nicht nur berühmte Künstler, auch ungezählte namenlose Untertanen des Regimes schlossen sich dieser grassierenden Insubordination an. Die berühmteren Widersprecher wurden etwas später zumeist mit neuen Privilegien bestraft, die Unberühmten mit Knast belohnt. Das ist eine andere Geschichte, die auch noch aufgeschrieben werden wird. Aber von wem? Ich kann es nicht, ich war ja nicht dabei.
Was für eine phantastische Konstellation: chronisch auf sich fixierte Einzelgänger treffen sich bei Stephan Hermlin und beschließen zum ersten Mal, gemeinsame Sache zu machen. Ihr Motiv konnte nur sein: sie fühlten sich selbst bedroht. Stefan Heym formulierte es treffend: Wir haben Angst, daß sich das Ausbürgern in der DDR einbürgern könnte.
Und jedermann wußte: Das Ausbürgern Andersdenkender war eine typische Nazimethode. So was stinkt also in Deutschland besonders peinlich. Aber wie ging es dann weiter! Der Kern dieser dreizehn Petitionsverfasser brach bald auseinander. Jeder einzelne wurde sehr verschieden unter Druck gesetzt. Haarsträubende Geschichten wurden kolportiert. Hermlin soll zu seinem Jugendfreund aus ungetrübten FDJ-Tagen gerufen worden sein. So schilderte mir Jurek Becker eine wahre Beckett-Szene mit Stephan Hermlin, der von seinem Fürsten ins ZK gerufen worden war:

- Stephan, was hast du mir angetan! Du mußt deine Unterschrift unter diese idiotische Biermann-Petition sofort zurückziehn!

- Nie und nimmer, Erich!

- Stephan! Ich vertraue dir etwas aus dem Politbüro an: Die Fraktion der sturen Dogmatiker will mich fertigmachen und die vorsichtigen Reformen, die ich vorhabe, sabotieren. Sie sagen mir: dein feiner Freund Hermlin macht in dieser Biermanngeschichte mit dem westdeutschen Klassenfeind gemeinsame Sache!

- Nie und nimmer, Erich!

- Dann, Genosse Hermlin, beweise mir das und nehme deine Unterschrift zurück! Ich kann dir verraten: einige andere aus eurer Gruppe tun es auch, haben den Fehler schon bedauert.

- Nie und nimmer, Erich!

- Lieber Stephan, denk an unsere gemeinsame Zeit, als du der gefeierte Dichter unserer Jugend warst. Ich beschwöre dich als gestandenen Antifaschisten und verdienten Genossen, distanziere dich von dieser Kampagne des Westens!

- Erich, es ist keine Westkampagne.

- Dann bitte ich dich zum letzten Mal: Schreib mir hier wenigstens einen Zettel, und unterschreibe mir, daß du deine Unterschrift unter diese Biermann-Petition bedauerst, oder wenigstens den Mißbrauch, der im Westen damit getrieben wird! Ich verspreche dir: keiner wird es sehn, keiner erfahren! Ich schließe es hier vor deinen Augen in meinen privaten Stahlschrank ein, zu dem nur ich einen Schlüssel habe. Und rausholen werde ich dieses Blatt nur, wenn ich in höchster Not bin und mich anders im Politbüro nicht mehr wehren kann gegen die alten Stalinisten, die nichts dazugelernt haben ... erspare es mir, Namen zu nennen.

- Na gut, Erich, wenn du mir das versprichst.

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Am nächsten Tag wußten es alle. Honecker hatte Hermlins Rückzieher sofort triumphierend publik gemacht. Das wiederum muß den ehrgeizigen Ehrenmann Hermlin dermaßen entsetzt und wütend gemacht haben, daß er nun wiederum die heimlich gegebene Unterschrift unter die Zurücknahme seiner ersten Unterschrift mit einer nun allerdings öffentlichen Unterschrift zurücknahm.
Damit diese tragische Farce sich vollendet (Johannes R. Becher: »Vollendung träumend/Hab ich mich vollendet...«), lieferte Stephan Hermlin dann im Dezember folgenden Brief:

An die
SED Parteiorganisation
des Bezirksverbandes Berlin
des Schriftstellerverbandes
der DDR

Ich war für diesen Staat schon, als er gegründet wurde. Ich bin für die Partei und ihr Politbüro und für die Politik des VIII. und IX. Parteitages, und ich möchte, daß diese Politik nahtlos weitergeht. Die Partei- und Staatsführung haben Bedingungen geschaffen, die die Situation für jeden einzelnen von uns verbessert haben. Ich möchte, daß keinerlei Kluft entsteht, daß alle Schriftsteller sich um unsere Partei und Regierung scharen. Es war mein Fehler, die Information auch an AFP zu geben. Ich halte die Erklärung von Cremer, die er gemeinsam mit Balden und Sandberg unterzeichnet hat, für konstruktiv. Mit dem Klassengegner will ich nichts zu tun haben. Deshalb protestierte ich gegen die Hetzkampagne, die von der BRD aus gegen die Deutsche Demokratische Republik und gegen das bewährte Bündnis der Arbeiterklasse, der Genossenschaftsbauern und der Intelligenz in unserem Staate entfacht wurde.

Berlin, den 4.12.1976 gez. Stephan Hermlin


Es ist mehr billig als recht, sich zu mokieren über dieses unterwürfige Parteikauderwelsch aus dem Munde eines Poeten. Die ewige Schande liegt nicht beim Ketzer, der zu Kreuze kriecht, sondern bei der Inquisition. Brecht schrieb drei Jahre vor seinem Tode in den Buckower Elegien mit kalter Verachtung ein bleischweres Gedichtchen - und beginnt dabei nicht mit dem stählernen Josef Dschugaschwili aus Georgien, sondern mit dem eisernen Ulbricht aus Sachsen:

Die Musen

Wenn der Eiserne sie prügelt
Singen die Musen lauter.
Aus gebläuten Augen
Himmeln sie ihn hündisch an.
Der Hintern zuckt vor Schmerz
Die Scham vor Begierde.


Die respektvolle Frage wird erlaubt sein: Wie hätte der achtundsiebzigjährige Brecht sich in diesem traurigen Monat November verhalten.

Quelle: Wolf Biermann und andere Autoren
Die Ausbürgerung - Anfang vom Ende der DDR
ISBN: 3898340449
Ullstein Berlin, 18 EUR

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