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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Die deutsche Wirtschaft
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Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Autor: Manfred Görtemaker
ISBN: 3 89331 456 3

Buchauszug
Die amerikanische Politik zur Eindämmung des sowjetischen Kommunismus war von einer Verstärkung des wirtschaftlichen Engagements der USA in Europa begleitet. Das «Europäische Wiederaufbauprogramm» (ERP = European Recovery Program) - besser bekannt unter der Bezeichnung «Marshall-Plan», der am 5. Juni 1947 vom amerikanischen Außenminister in einer Rede vor der Harvard University vorgelegt wurde - sollte die westlichen Demokratien stabiler und damit unanfälliger gegen sowjetische Einflussnahme machen. Truman-Doktrin und Marshall-Plan waren deshalb, in den Worten Präsident Trumans, «zwei Hälften derselben Walnuss». Für Deutschland bedeutete die Teilnahme am Marshall-Plan vor allem die Notwendigkeit einer Währungsreform, da die deutsche Währung durch den Umlauf von rund 300 Milliarden Reichsmark, denen kaum ein Warenangebot gegenüberstand, praktisch ruiniert war. Seit 1945 hatte es auf alliierter wie auf deutscher Seite nicht weniger als 250 Pläne für eine Währungsreform gegeben. Eine Lösung war jedoch zunächst nicht in Sicht, da eine Währungsumstellung Klarheit über die künftige deutsche Wirtschaftsordnung voraussetzte und damit weitreichende Konsequenzen für die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands besaß.
Diese Entscheidungen gelangten im Herbst 1947 in ein konkretes Stadium, als die Londoner Außenministerkonferenz der Vier Mächte vom November und Dezember 1947 bestätigte, was sich schon in Moskau im Frühjahr 1947 abgezeichnet hatte: dass eine Übereinkunft zwischen der Sowjetunion und den Westmächten in der deutschen Frage nicht mehr möglich war. Am 15. Dezember gingen die Konferenzteilnehmer auseinander, ohne einen Termin für eine neue Begegnung vereinbart zu haben. Der in Potsdam 1945 eingesetzte «Rat der Außenminister» war gescheitert und hörte nach dem Abbruch der Londoner Verhandlungen praktisch auf zu bestehen. An seine Stelle traten Konferenzen und Gremien, in denen es nicht länger um Kompromisse zwischen den Vier Mächten, sondern nur noch um separate Lösungen für die SBZ und die drei Westzonen ging.
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Die deutsche Wirtschaft
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Auf westlicher Seite kamen die USA, Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten am 23. Februar 1948, ebenfalls in London, zur ersten Sitzungsrunde einer Sechs-Mächte-Konferenz auf Botschafterebene zusammen, die bis zum 6. März andauerte und auf der erwogen wurde, die deutschen Westzonen in ein staatliches Gebilde umzuwandeln und eine provisorische westdeutsche Regierung zu installieren. Parallel dazu sollten die deutsche Währung reformiert und Westdeutschland in das mit Marshall-Plan-Mitteln stabilisierte westliche Wirtschaftssystem eingefügt werden. Frankreich verzichtete dabei unter amerikanischem und britischem Druck auf eine Fortsetzung seiner eigenständigen Deutschlandpolitik und sah sich in diesem Positionswechsel nicht zuletzt durch die Entwicklung in der Tschechoslowakei bestätigt, wo die Kommunisten am 25. Februar 1948 durch einen «kalten Staatsstreich» die Alleinherrschaft übernahmen und die CSSR endgültig zum Satelliten Moskaus degradierten.
Am Ende war es allerdings neben der Zuspitzung des Ost-West-Konflikts eine Mischung aus militärischen Garantien, wirtschaftlichem Druck und der Vision einer europäischen Integration, die Frankreich veranlasste, einer westdeutschen Staatsgründung zuzustimmen. So endeten die Londoner Botschaftergespräche am 1. Juni 1948 mit Vereinbarungen, die in einem Kommunique unter dem Datum des 2. Juni als «Londoner Empfehlungen» den Regierungen der sechs Mächte übermittelt wurden und den Auftrag zur Gründung eines westdeutschen Staates enthielten. Zu diesem Zweck wurden die Militärgouverneure der Drei Mächte instruiert, mit den Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder ein Treffen abzuhalten, um diese zu autorisieren, eine Verfassunggebende Versammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung einzuberufen, die dann von den beteiligten Ländern zu billigen war. Die Verfassung selbst sollte «nicht das zentralisierte Reich wiederherstellen», sondern «eine bundesstaatliche Regierungsform» schaffen, die geeignet sein würde, «in angemessener Weise die Rechte der jeweiligen Staaten zu schützen, für eine angemessene Zentralgewalt zu sorgen und die Rechte und Freiheiten des einzelnen zu garantieren». Darüber hinaus sahen die Empfehlungen die Mitgliedschaft Westdeutschlands in der Organization for European Economic Cooperation (OEEC) - und damit seine Beteiligung am Marshall-Plan - sowie die Errichtung einer «internationalen Behörde zur Kontrolle der Ruhr» vor, der die USA, Großbritannien, Frankreich, die Benelux-Staaten und Deutschland angehören sollten. Dabei wurde ausdrücklich vermerkt, dass die Ruhrbehörde «nicht die politische Trennung des Ruhrgebietes von Deutschland» bedeute.
Nach Billigung durch die beteiligten Regierungen wurden die Empfehlungen am 7. Juni noch einmal in einem «zweiten» Kommunique zusammengefasst und veröffentlicht, bevor sie am 1. Juli bei einem Treffen der Militärgouverneure mit den Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder in Frankfurt offiziell übergeben wurden. In den «Frankfurter Dokumenten» ging es (1) um die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung, die spätestens am 1. September zusammentreten und eine Verfassung für den zu gründenden Weststaat ausarbeiten sollte, (2) um eine mögliche Neuordnung der innerdeutschen Ländergrenzen sowie (3) um Leitsätze für ein Besatzungsstatut, das die Alliierten für notwendig hielten, um die Beziehungen der Drei Mächte zu einer künftigen deutschen Regierung zu regeln.
Parallel zu diesen politischen Schritten für eine westdeutsche Staatsgründung liefen die Vorbereitungen für eine Währungsreform. Sie duldete keinen weiteren Aufschub, weil sich die Beteiligung der drei westlichen Besatzungszonen am Marshall-Plan immer deutlicher abzeichnete. Nachdem Verhandlungen mit der UdSSR über eine gemeinsame Währungsreform in ganz Deutschland gescheitert waren, wurde am 18. Juni 1948 durch Gesetz der drei Militärregierungen die Umstellung der Währung von Reichsmark auf Deutsche Mark mit Wirkung vom 20. Juni 1948 verkündet und schließlich auch auf Berlin ausgedehnt. Die Sowjetunion reagierte darauf mit einer Blockade des Westteils der Stadt, indem sie unter dem Vorwand «technischer Störungen» Ende Juni und Anfang Juli 1948 die Bahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverbindungen zwischen West-Berlin und Westdeutschland unterbrach und auch die Stromversorgung einstellte. Nur die Luftverkehrswege nach Westen blieben offen. Lucius D. Clay berichtete später, als er gemeinsam mit den britischen und französischen Militärgouverneuren am 3. Juli das sowjetische Hauptquartier in Karlshorst aufgesucht habe, sei ihnen dort mitgeteilt worden, «die technischen Schwierigkeiten würden so lange anhalten, bis wir unsere Pläne für eine westdeutsche Regierung begraben hätten». Die Sowjetunion wollte also eine westdeutsche Staatsgründung, die mit der Währungsreform eingeleitet wurde, verhindern, um die deutsche Frage offenzuhalten und vielleicht doch noch in ihrem Sinne zu entscheiden.
Die Absicht, die Westmächte über die Blockade Berlins zu einer deutschlandpolitischen Kursänderung zu zwingen, erwies sich jedoch als Bumerang. Die Blockade vergrößerte nur die Solidarisierung im Westen und förderte vor allem die amerikanische Bereitschaft, sich für Deutschland und Berlin zu engagieren. So wurde auf Initiative Clays eine «Luftbrücke» eingerichtet, um die eingeschlossene Stadt aus der Luft zu versorgen. Berlin wurde zum Sinnbild der westlichen Selbstbehauptung gegen die Sowjetunion - eine Konstellation, an der sich während des gesamten Kalten Krieges nichts mehr ändern sollte. Die Sowjetunion sah sich dabei mit der westlichen Entschlossenheit und insbesondere dem Gewicht, das die USA seit dem Herbst 1946 zunehmend in die Waagschale der europäischen Politik warfen, konfrontiert und trug damit ungewollt zur Versöhnung zwischen Siegern und Besiegten im Westen bei.


Quelle: Manfred Görtemaker
Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
ISBN:3 89331 456 3
Beck Verlag

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