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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Widerstand
 

Widerstandsgruppen
Der Solf-Kreis

Typisch für die Formierung von Regimekritik unter gebildeten Bürgern, die zum Widerstand gegen das NS-Regime wurde, waren die Teegesellschaften in der Berliner Wohnung von Hanna Solf. Sie war die Witwe des 1936 verstorbenen deutschen Botschafters in Tokio. In ihrem Salon trafen sich Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt, wie der Gesandte Dr. Otto Kiep, der Legationsrat Hilger van Scherpenberg (er war Schwiegersohn des ehemaligen Reichsbankpräsidenten und Wirtschaftsministers Hjalmar Schacht), der Botschaftsrat i.R. Albrecht Graf von Bernstorff, Industrielle wie Nikolaus von Halem und Publizisten wie Karl Ludwig Freiherr von Guttenberg, der Herausgeber der katholischen Zeitschrift "Weiße Blätter". Vom Solf-Kreis wurden weder Attentate geplant noch Entwürfe für eine Staats- und Gesellschaftsordnung nach Hitler ausgearbeitet. Hier tauschten vielmehr Gleichgesinnte in der Abneigung gegen den Nationalsozialismus ihre Gedanken aus. Vor allem aber liefen viele Verbindungen vom Solf-Kreis zu anderen Gegnern Hitlers. Halem hatte nicht nur Kontakt zur Militäropposition, sondern auch zur kommunistischen Uhrig-Römer-Gruppe. Über Otto Kiep gab es Beziehungen zu regimekritischen Beamten im Auswärtigen Amt und zum Kreisauer Kreis. Mitgliedern des Solf-Kreises war die Hilfe für Verfolgte, vor allem für Juden, ein Anliegen.
In eine Zusammenkunft bei Elisabeth von Thadden am 10. September 1943 hatte die Gestapo einen Spitzel eingeschleust. Seiner Denunziation fielen die meisten Angehörigen des Zirkels zum Opfer. Während Hanna Solf, ihre Tochter Gräfin Ballestrem und van Scherpenberg wegen mehrmaliger Verschiebung ihrer Gerichtsverhandlung das Kriegsende überlebten, wurden Elisabeth von Thadden, Otto Kiep, Freiherr Guttenberg, Nikolaus von Halem und andere hingerichtet. Graf Bernstorff und Legationsrat Richard Kuenzer wurden noch am 24. April 1945 in der Nähe des Lehrter Bahnhofs in Berlin ermordet.

Die Strassmann-Gruppe

Pfingsten 1934 gründeten drei entschiedene Liberale, der Berliner Richter Ernst Strassmann, der Hamburger Kaufmann Hans Robinsohn und der Berliner Journalist Oskar Stark einen Widerstandskreis. Strassmann und Robinsohn kannten sich seit langem, sie hatten als Mitglieder der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei vor 1933 in Hamburg eine Rolle gespielt. Ihr Kreis hatte keinen Namen; er wurde nachträglich nach Strassmann benannt, da Oskar Stark bald wieder ausschied und Robinsohn 1938 nach Dänemark emigrierte. Die Gruppe war straff organisiert und arbeitete strikt konspirativ. Die Tätigkeit der Strassmann-Gruppe bestand im Sammeln von Nachrichten und im Versuch, das Ausland auf die Existenz oppositioneller Strömungen in Deutschland aufmerksam zu machen und Unterstützung für eine Regierung nach einem Umsturz in Deutschland zu gewinnen. Im Frühjahr 1939 nahmen Vertreter der Gruppe zum britischen Außenministerium Kontakt auf. Konkrete Hilfe für den deutschen Widerstand ergab sich daraus aber nicht. Die Strassmann-Gruppe unterhielt Verbindungen zu anderen Widerstandskreisen. Über den früheren Berliner Bürgermeister Fritz Elsas gab es Beziehungen zum Goerdeler-Kreis. Zur Militäropposition führte der Weg über den Referenten im Reichsjustizministerium und nach Kriegsausbruch Mitarbeiter in der militärischen Abwehr Hans von Dohnanyi, der schon vor 1933 zum politischen Freundeskreis von Robinsohn und Strassmann gehört hatte. Zur Bekennenden Kirche, vor allem zu Eugen Gerstenmaier, aber auch zum Kreisauer Kreis gab es Verbindungen ebenso zu Gewerkschaftern wie Wilhelm Leuschner.
Der Zahl nach eher bescheiden, galten die Aktivitäten der Gruppe darüber hinaus der Ausarbeitung von Plänen für eine Nachkriegsordnung. Eine große Denkschrift aus dem Jahr 1938, verfaßt von Hans Robinsohn, steckte die außenpolitischen Ziele ab. Sie enthielt mit der Absage an den Nationalismus ein deutliches Bekenntnis zu Europa: "Die Voraussetzung jeder Innen- und Wirtschaftspolitik [...] ist Frieden und Zusammenarbeit zwischen den Nationen. Daher ist es auf außenpolitischem Gebiet das Bestreben der Deutschen Opposition, so schnell wie möglich Deutschland wieder in ein internationales System der Zusammenarbeit auf friedlicher und die Rechte aller Nationen wahrender Art einzugliedern." Im Herbst 1942 wurde, nachdem bereits ein Kurier der Gruppe in die Hände der Gestapo gefallen war, Ernst Strassmann verhaftet. Er blieb bis Kriegsende im Gewahrsam der Gestapo. Das System der Geheimhaltung innerhalb der Gruppe bewährte sich: Der Kreis der Mitwisser war klein und niemand wußte alles über die Strassmann-Gruppe. So gelang es den nationalsozialistischen Verfolgern nicht, wie bei anderen Gruppen, weiteren Mitgliedern auf die Spur zu kommen.
Von der Nachkriegskarriere her gesehen war Thomas Dehler, Bundesjustizminister von 1949 bis 1953 und FDP-Vorsitzender von 1954 bis 1957, das prominenteste Mitglied des Strassmann-Kreises. Er erinnerte sich in den 60er Jahren daran: "Seit Mitte der dreißiger Jahre gehörte ich zu einem über das ganze Reich verstreuten Kreis freiheitlicher Menschen, einem Kreis des unbedingten Widerstandes." Die Aktivitäten auch dieses Kreises "galten nicht so sehr dem Umsturz - er konnte nur durch eine Aktion der Soldaten ausgelöst werden -, sondern der Ordnung der deutschen Dinge danach".

Der Freiburger Kreis

Drei Professoren der Volkswirtschaft, Adolf Lampe, Constantin von Dietze und Walter Eucken, die auch der Bekennenden Kirche angehörten, arbeiteten seit Ende 1938 in einem Gesprächskreis, dem "Freiburger Konzil", zusammen, um mit dem Historiker Gerhard Ritter und anderen Interessierten - Geistlichen beider Konfessionen - theologische Fragen zu diskutieren. Es ging vor allem um das Problem, wie sich Christen gegenüber einem Staat verhalten sollen, dessen Führung die göttlichen Gebote mißachtet. Gerhard Ritter verdichtete die Überlegungen zu einer Denkschrift, und die Bekennende Kirche gab den Freiburgern den Auftrag, Grundsätze der Neuordnung Deutschlands für eine nach dem Krieg geplante Weltkirchenkonferenz auszuarbeiten. Eine aus dem Konzil hervorgegangene Gruppe arbeitete daran; zur Diskussion des Entwurfs wurde auch Carl Goerdeler eingeladen. Nach dem 20. Juli 1944 wurden auch Dietze, Lampe und Ritter verhaftet, weil die Gestapo von der Verbindung der Freiburger zum Goerdeler-Kreis erfahren hatte.
Eine weitere Freiburger Gruppe, zu der wiederum die Wirtschaftswissenschaftler Dietze, Eucken und Lampe gehörten, beschäftigte sich seit 1943 mit Problemen der Wirtschaft nach dem Krieg. Die Gelehrten dieser "Arbeitsgemeinschaft Erwin von Beckerath" erstellten Gutachten für den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Die Freiburger Nationalökonomen, Finanz- und Staatswissenschaftler, die eine zentralgelenkte Wirtschaftsordnung ebenso ablehnten wie einen völlig sich selbst überlassenen marktwirtschaftlichen Wettbewerb, leisteten mit ihren Gutachten und wissenschaftlichen Untersuchungen die theoretischen Vorarbeiten für die nach dem Krieg von Ludwig Erhard eingeführte soziale Marktwirtschaft.

Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
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