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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Machtergreifung
 

Gewerkschaften
Trotz mancher Meinungsverschiedenheiten hatte sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) bis zum Januar 1933 bei seinen Entscheidungen im Einklang mit der Sozialdemokratie befunden. Nach den Wahlen vom 5. März suchten aber auch die Gewerkschaftsführer "der Zeit Rechnung zu tragen". In einem Schreiben an Hitler distanzierte sich der ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart offen von der SPD. Vergessen waren alle demokratischen und sozialistischen Glaubensbekenntnisse:Es ging nur noch um die Erfüllung der sozialen Aufgaben der Gewerkschaften, "gleichviel welcher Art das Staatsregime ist". Es war die Sorge um die Erhaltung der eigenen Organisation, die alle weiteren Schritte bestimmte. Die Gewerkschaftsführung ließ sich auf ein Gespräch mit der "Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation" (NSBO) ein, um sich von der noch immer unbedeutenden Nazi-Gewerkschaft sagen zu lassen, daß nicht genehme "marxistische" Gewerkschaftsführer zurücktreten müßten.
Leipart erklärte, die Gewerkschaften hätten ein "Recht auf den Schutz des Staates" und stellte dafür die Mitarbeit im neuen Staat in Aussicht. Der wiederum köderte die Gewerkschaftsführer mit der trügerischen Verheißung alter Träume der Arbeiterbewegung. An die Stelle der miteinander rivalisierenden Richtungsgewerkschaften sollte eine Einheitsgewerkschaft treten, und gleich nach dem Tag von Potsdam inszenierten die Nationalsozialisten eine neue massenwirksame Schau, mit der die "Volksgemeinschaft aller schaffenden Stände" gefeiert werden sollte.
Der traditionelle Tag der internationalen Arbeiterbewegung, der 1. Mai, wurde ausgerechnet vom nationalsozialistischen Regime zum gesetzlichen Feiertag erklärt, nachdem die SPD in der Weimarer Republik aus Rücksicht auf die bürgerlichen Koalitionspartner stets darauf verzichtet hatte. Am 17. April notierte Goebbels in seinem Tagebuch über eine Absprache mit Hitler: "Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns. Man darf hier keine Rücksicht kennen. [...] Sind die Gewerkschaften in unserer Hand, dann werden sich auch die anderen Parteien und Organisationen nicht mehr lange halten können."
Genauso sollte es kommen. Das Wechselbad von Verlockung und Drohung hätte nicht zynischer ersonnen sein können. Man hatte sich eine Doppelstrategie ausgedacht, die Verwirrung stiften und den Widerstand brechen sollte. Die ADGB-Führung meinte, bei einem solchen "Tag der nationalen Arbeit" nicht abseits stehen zu dürfen, und rief schon am 19. April zur Teilnahme auf. Goebbels rief mit pathetischen Parolen zum 1. Mai auf: "Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter! [...] Bekränzt eure Häuser und die Straßen der Städte und Dörfer mit frischem Grün und den Farben des Reiches [...] Deutsche aller Stände, Stämme und Berufe, reicht euch die Hände! Geschlossen marschieren wir in die neue Zeit hinein."
Gleichzeitig wurde in aller Stille ein "geheimes Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit" unter Leitung des Stabsleiters der Politischen Organisation der NSDAP, Robert Ley, und des NSBO-Mannes Reinhold Muchow gebildet, um den entscheidenden Schlag für den 2. Mai vorzubereiten. "Träger der Aktion soll die NSBO sein. SA bzw. SS ist zur Besetzung der Gewerkschaftshäuser und der Inschutzhaftnahme der in Frage kommenden Persönlichkeiten einzusetzen. [...] Die Übernahme der Freien Gewerkschaften muß in einer Form vor sich gehen, daß dem Arbeiter und Angestellten das Gefühl gegeben wird, daß sich diese Aktion nicht gegen ihn, sondern gegen ein überaltertes und mit den Interessen der deutschen Nation nicht übereinstimmendes System richtet." Das zielte darauf, die organisierte Arbeitschaft aus dem Zusammenhalt und Schutz ihrer Verbände herauszulösen, um leichter über sie verfügen zu können. Denn die im März 1933 angelaufenen Betriebsrätewahlen hatten der NSBO zwar eine Stimmenzunahme, aber keine Mehrheit gebracht, so daß eine Machtübernahme von innen in der Arbeiterbewegung nicht zu erreichen war.
Am 1. Mai marschierte die Arbeiterschaft dann tatsächlich in einer Reihe mit denen, die ihnen zuvor feindlich gegenübergestanden hatten. Auf einer Massenkundgebung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin sprach Hitler von der "Volksgemeinschaft", zu der der "nationale Staat" erziehen werde, und von der "Erhebung" des Volkes über "Klassen, Stände und Einzelinteressen". Dies und das Versprechen, zu einer "Veredelung des Begriffs der Arbeit" zu kommen, sprach Gefühle und Erwartungen an, die viele teilten, ohne Nationalsozialisten zu sein.
Die andere nicht minder charakteristische Seite der nationalsozialistischen Sozialpolitik zeigte sich am folgenden Tag bei den Partei- und SA-Aktionen gegen den ADGB. Alles verlief überfallartig: Gewerkschaftshäuser, Büros, Banken und Redaktionen der freien Gewerkschaften wurden besetzt, das gesamte Vermögen beschlagnahmt und eine Reihe führender Gewerkschafter in "Schutzhaft" genommen, darunter auch der ADGB-Vorsitzende Leipart. Die Masse der Gewerkschaftsangestellten erhielt das Angebot, unter der Leitung von NSBO-Kommissaren weiterzuarbeiten. Die Machtdemonstration des 2. Mai brachte auch den übrigen Gewerkschaften das organisatorische Ende. In den folgenden Tagen unterstellen sich die liberalen "Hirsch-Dunkerschen Gewerkschaften" und der mitgliederstarke "Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband" dem Aktionskomitee des Robert Ley, der sich damit unversehens an der Spitze einer NS-Großorganisation befand, freilich noch in einer Konkurrenzsituation mit der NSBO, die sich zunächst die illusionäre Hoffnung machte, der Sieger des 2. Mai 1933 zu sein.


Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
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