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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Weltweite Wirtschaftskrise
 

Mittelschichten
Die Mittelschichten umfassten zunächst den "alten Mittelstand": selbstständige Handwerker und Einzelhändler, kleine und mittlere Unternehmer, freie (akademische) Berufe und Bauern nebst ihren mithelfenden Familienangehörigen. Dabei handelte es sich überwiegend um Kleinstbetriebe mit weniger als fünf Beschäftigten. Der eigentumsorientierte und statusbewusste selbstständige Mittelstand fühlte sich stets zwischen Kapital und Arbeit eingeklemmt, weil er im Wettbewerb mit Großunternehmen stand und sich gleichzeitig von den Lohnforderungen der Gewerkschaften bedrängt sah. Zwar wurden nur wenige Mittelständler durch die Inflation 1923 wirtschaftlich ruiniert; aber der Verlust ihrer Ersparnisse bedeutete für sie eine kollektive traumatische Erfahrung, die - mehr noch als Versailler Vertrag und Dolchstoßlegende - ihr Vertrauen in den demokratischen Staat untergrub.
Neben dem "alten" hatte sich bereits im Kaiserreich ein "neuer Mittelstand" - mittlere und kleine Angestellte und Beamte - herausgebildet, der aufgrund der allgemeinen Bürokratisierungstendenz in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat zunahm. Die Berufssituation der Angestellten näherte sich im Gefolge der Rationalisierungswelle in der deutschen Industrie in den zwanziger Jahren hinsichtlich der Arbeitsbedingungen (Großraumbüros) und der Arbeitsplatzsicherheit (wachsende Arbeitslosigkeit, besonders bei älteren Angestellten) derjenigen der Arbeiter immer stärker an. Umso mehr jedoch beharrten die Angestellten darauf, sich von den Arbeitern abzugrenzen, unter anderem durch die Pflege eigener Versicherungen und Verbände, deren politisches Spektrum vom SPD-nahen AfA-Bund ("Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände") bis zum "Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband" (DNHV) reichte. Ihr eher an den Arbeitgebern als an der Arbeiterschaft orientiertes, berufsständisches Sonderbewusstsein war in Deutschland ausgeprägter als in vergleichbaren Industrieländern.
Charakteristisch für die alten und neuen Mittelschichten war das breite Spektrum der von ihnen bevorzugten Parteien. Zwar bildeten sie traditionell den Kern des politischen Liberalismus (bzw. Katholizismus); man wählte aber auch die Deutschnationalen, mittelständisch orientierte Kleinparteien oder regionale Parteien. Diese politische "Heimatlosigkeit" äußerte sich besonders augenfällig im allmählichen Niedergang der beiden liberalen Parteien DDP und DVP.


Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
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