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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Deutsche Revolution
 

Stinnes-Legien-Pakt
Schon früh wurden die Weichen so gestellt, dass die rheinisch-westfälischen Schwerindustriellen - auch sie Säulen des kaiserlichen Obrigkeitsstaates - von Enteignungen verschont blieben. Am 15. November 1918 schlossen die Unternehmerverbände (vertreten durch ihren Vorsitzenden Hugo Stinnes) und die Gewerkschaften (unter ihrem Vorsitzenden Carl Legien) ein Abkommen, in dem sie vereinbarten:
die Anerkennung der Gewerkschaften als "berufene Vertretung der Arbeiterschaft" und das Prinzip der kollektiven Tarifverträge,
den 8-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich,
Arbeiterausschüsse und paritätische Schlichtungsausschüsse in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten,
die Wiedereinstellung der demobilisierten Soldaten,
einen paritätisch besetzten "Zentralausschuss" (Zentralarbeitsgemeinschaft/ZAG) zur Durchführung des Abkommens und zur "Entscheidung grundsätzlicher Fragen".
Erstmals wurden die Gewerkschaften von den Unternehmern als gleichberechtigte Vertragspartner anerkannt. Die damals geschaffene Tarifautonomie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen war ein bedeutender sozialpolitischer Erfolg, der noch heute einen Eckpfeiler des Sozialstaates der Bundesrepublik bildet. Allerdings beinhaltete der so genannte Stinnes-Legien-Pakt auch eine unausgesprochene Garantieerklärung für das Privateigentum an Produktionsmitteln und die freie Unternehmerinitiative. Die Strategie der Unternehmer - "Sozialpolitik gegen Verzicht auf Sozialisierung" (Eberhard Kolb) - ging auf, weil die Gewerkschaftsführer die spontane Rätebewegung in den Betrieben nur als lästige Konkurrenz empfanden. Der Rat der Volksbeauftragten und die Revolutionsregierungen unterstützten den Stinnes-Legien-Pakt, indem sie ihn sinngemäß auf Staatsbetriebe und Behörden anwandten. Zwar einigten sich die Volksbeauftragten am 18. Dezember noch auf den Kompromiss, Industriezweige, die "nach ihrer Entwicklung" dafür "reif" waren, zu sozialisieren, sobald eine Expertenkommission aus Wirtschaftswissenschaftlern, Unternehmern und Arbeitervertretern die notwendigen Einzelheiten ausgearbeitet hätte. Aber dieser Beschluss lief auf eine Vertagung der Angelegenheit hinaus. Als die Kommission dann im Februar ihre Vorschläge zur Sozialisierung des Bergbaus vorlegte, war schon die Nationalversammlung zusammengetreten, in der es für Eingriffe in das Privateigentum an Produktionsmitteln keine Mehrheiten gab.
Ebenfalls am 15. November 1918 beriefen die Volksbeauftragten Hugo Preuß, einen angesehenen linksliberalen Staatsrechtslehrer und bekannten Kritiker des kaiserlichen Obrigkeitsstaates, zum Staatssekretär des Innern und erteilten ihm den Auftrag, eine neue Reichsverfassung zu entwerfen. Preuß' Ernennung erfolgte, weil die sozialdemokratischen Parteien keine eigenen Verfassungskonzeptionen besaßen; sie signalisierte aber auch, dass die MSPD ihre 1917 begonnene Zusammenarbeit mit dem liberalen Bürgertum und dem politischen Katholizismus fortsetzen wollte. Denn von Preuß war eine parlamentarisch-demokratische republikanische Verfassung zu erwarten, mit der sich der Stinnes-Legien-Pakt gut, Arbeiter- und Soldatenräte sowie Sozialisierungen aber nur schlecht vereinbaren ließen.

Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
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