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Die 68er-Bewegung und ihre Folgen
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Buchauszug
Das allererste Treffen der Kommune fand im Frühjahr 1966 statt, zu einer Zeit, als Kunzelmann noch in München wohnte. Im Dezember 1965 hatte ich ihn von einer sehr unangenehmen Seite kennen gelernt, als wir an den Kochelsee fuhren, um gemeinsam mit einigen Leuten aus Berlin und München Weihnachtsferien zu machen. Rudi kannte ihn aus der "Subversiven Aktion", und ich hatte ihn dort auch schon getroffen. Dieses Treffen hatte noch nichts mit unserer späteren Kommunegruppe zu tun. Kunzelmann hatte zu der Zeit zwei Frauen und beauftragte sie, Rudi zu verführen, weil er dachte, er könnte uns dadurch auseinander bringen. Rudi war aber nicht interessiert, und deshalb funktionierte sein Plan nicht. Aber mir gegenüber war das natürlich eine ganz böse Art.
Inzwischen hatte Kunzelmann von unserer Kommunegruppe gehört und ein zweites Treffen in Kochel organisiert, wahrscheinlich mit der Absicht, das ganze mehr oder weniger in die Hand zu nehmen. In seinem Buch erwähnt Kunzelmann nur dieses zweite Treffen, das im Juni 1966 stattgefunden hat, die Zeit davor jedoch mit keinem Wort. Ich bin absichtlich nicht zu diesem zweiten Treffen mitgefahren, weil ich davon überzeugt war, dass es für uns schief gehen würde.
Ich wollte Kunzelmann auf keinen Fall in unserer Gruppe dabeihaben, denn ich wußte, dass er extrem patriarchalisch und autoritär war. Er hat alle Leute überrumpelt, und man hatte keine Chance gegen ihn. "Du musst ihn davon abbringen", habe ich Rudi gebeten. Doch er meinte, es sei sein freier Wille, wenn er nach Berlin kommen wolle. Auch seien so viele Leute in der Gruppe, dass ein einzelner nie soviel Einfluss gewinnen könne.
Kunzelmann ist also dazugestoßen, und ich würde sagen, dass sein Kommunekonzept in erster Linie aus Psychoterror bestand. Denn er wollte, dass die Menschen sich gegenseitig allen psychischen Schutz niederreißen. Durch fundamentale Kritik sollten sie alle ihre "bürgerlichen Denkweisen" verlieren. Jedes Mal, wenn jemand etwas tat, was irgendwie "bürgerlich" erschien, sollte er total kritisiert werden. Außerdem sollten alle ihre festen Beziehungen aufgeben und miteinander schlafen.
In Amerika hatte ich mir intensive Gedanken darüber gemacht, wie ich als Frau in dieser Gesellschaft leben konnte, ohne mich selbst aufzugeben, und Anfang der sechziger Jahre hatte das viel mit Sex zu tun. Als Frau sollte man einen Mann finden, heiraten und Kinder haben. Doch in diese Richtung wollte ich nicht gehen, und deswegen erschien es mir damals so, als ob die sexuelle Befreiung auch eine Befreiung für die Frau wäre. Doch wie diese Idee in der Kommunediskussion ausartete, konnte ich nicht ertragen. Letztendlich sollte freie Sexualität bedeuten, dass die Frauen den Männern immer zur Verfügung stehen.
Wenn sich also die Männer das Recht anmaßten, zu schlafen, mit wem sie wollten, dann sollten es die Frauen auch tun können. Anfang der sechziger Jahre dachten wir noch, die einzige Art, uns zu beweisen, dass wir nicht unter männlicher Kontrolle stehen, wäre, zu schlafen, mit wem wir Lust hatten. Dazu gehörte aber die Möglichkeit, selbst zu entscheiden und keinesfalls sollten die Männer darüber bestimmen.
Die Leute vom SDS, mit denen Rudi meistens zu tun hatte, behandelten ihre Frauen nicht wie eine Partnerin, sondern wie ein Vorzeigeding, besonders wenn sie eine schöne Frau hatten. Und sobald die Frauen verheiratet waren, sollten sie sich wie eine verheiratete, also vom Mann abhängige Frau verhalten. Dass Rudi heiraten wollte, haben sie zuerst gar nicht akzeptiert. Aber danach wurde erwartet, dass ich mich als seine Frau "ordentlich" verhielt.
Die Heirat mit Rudi war aus meiner eigenen Sicht vielleicht tatsächlich ein Widerspruch zu dem, was ich in Amerika gedacht hatte. Aber ich glaube, dass ich es ganz gut schaffe, mit Widersprüchen zu leben. Der Hauptgrund, warum wir letzten Endes geheiratet haben, war, dass man 2000 Mark bekommen hat. Man hätte natürlich aus ideologischen Gründen auf das Geld verzichten können. Doch ich war nicht dogmatisch und fand dogmatische Ideen falsch. Aber das mich so viele nur als "Frau von Rudi" gesehen haben, fand ich furchtbar.

Quelle: Ute Kätzel
Die 68erinnen - Porträt einer rebellischen Frauengeneration
ISBN: 3 87134 447 8
Rowohlt, Berlin 2002, 22,90 Euro

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