1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Nürnberger Prozesse
 

Entnazifizierung in der US-Zone
Die Amerikaner hatten das Problem der politischen Säuberung in ihrer Zone mit denkbar größtem Elan angepackt, um alle ehemaligen Nazis aus dem öffentlichen Leben und der Wirtschaft zu entfernen. Zur Ermittlung dieses Personenkreises diente der berühmt gewordene Fragebogen. Auf 131 Fragen wurde wahrheitsgetreue Antwort verlangt, Auslassung und Unvollständigkeit waren als Delikt gegen die Militärregierung mit Strafe bedroht. Das Kernstück des sechsseitigen Fragebogens bildeten die Positionen 41 bis 95, bei denen detaillierte Auskunft über die Mitgliedschaft in allen nationalsozialistischen Organisationen gefordert war. Anfang Dezember 1945 waren bei den Dienststellen der amerikanischen Militärregierung ungefähr 90 0000 Fragebogen eingegangen. 140 000 Personen wurden sofort aus ihren Positionen entlassen. Fast ebensoviele wurden als minder gefährliche Nazi-Sympathisanten eingestuft.
Die Durchführung der Entnazifizierung lag in der US-Zone bis zum Frühjahr 1946 in der Zuständigkeit der Militärregierung. Zunächst beschränkte sich die Säuberung freilich darauf, die Fragebogen zu überprüfen. Die am höchsten belasteten Nationalsozialisten fielen in die Kategorie "Automatischer Arrest", dann kamen die NS-Aktivisten, die aus ihren Stellungen entlassen werden mußten, nach ihnen die harmloseren Fälle, deren "Entlassung empfohlen" wurde, und schließlich die Mitläufer, die ihre Stellungen behalten durften.
Die ständige Erweiterung des Säuberungsprogramms über die eigentlichen Führungspositionen hinaus schuf beträchtliche Probleme: Einerseits entstand Personalmangel in der Verwaltung wegen der zahlreichen Entlassungen-im Frühjahr 1946 waren es 300 000 -, auf der anderen Seite bedeutete die Einrichtung von Internierungslagern, in denen rund 120 000 Personen der Kategorie "automatischer Arrest" inhaftiert waren, eine Belastung für den Demokratisierungsanspruch der amerikanischen Besatzungsmacht. Die in den elf Lagern der US-Zone auf ihre Entnazifizierung Wartenden sahen kaum den Zweck ihrer Festsetzung ein, und die ebenso schleppende wie unsystematische Prozedur ihrer Überprüfung ließ für die Betroffenen auch keinen rechten Sinn erkennen. Denn nach der Aussonderung der Inhaber hoher Ränge in der NS-Hierarchie und der mutmaßlichen Straftäter blieben die mittleren Ränge der SS und der SA, die mittleren Funktionäre der NSDAP, die Apparatschiks vom Ortsgruppen-Amtsleiter bis zum Gau-Amtsleiter übrig, und die brauchten sich kaum schuldiger zu fühlen als die meisten anderen, denen bis zu drei Jahre Internierungslager erspart blieben.

Kurswechsel
Im Frühjahr 1946 wurde für die Länder der US-Zone ein "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" verabschiedet. Es bildete fortan die Rechtsgrundlage der Säuberung, die damit in deutsche Hände gelegt war. Das Befreiungsgesetz war formal in den Rahmen der Kontrollratsdirektiven eingepaßt und suchte den Kompromiß zwischen dem Diskriminierungs- und Strafgedanken und der als notwendig empfundenen Rehabilitierung; wie in den anderen Zonen setzte sich die Idee der Rehabilitierung dann nachhaltiger durch. Infolge des größeren Rigorismus, mit dem in der US-Zone das Problem anfänglich in Angriff genommen worden war, erschien die zunehmend betriebene Umwidmung von Schuldigen in Unschuldige - die Entlastung ursprünglich schwer Beschuldigter zu "Mitläufern" - als eklatanter Fehlschlag des ganzen Unternehmens.
Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die sich in der amerikanischen Zone im Laufe der Entnazifizierung ergab, war allerdings gewaltig. Dreizehn Millionen Menschen vom vollendeten 18. Lebensjahr an hatten ihre Fragebogen ausgefüllt, knapp ein Drittel der Bevölkerung war vom Befreiungsgesetz betroffen. Etwa zehn Prozent wurden dann schließlich verurteilt. Und tatsächliche Strafen oder Nachteile von Dauer erlitt weniger als ein Prozent der zu Entnazifizierenden überhaupt. Die Prozedur der Entnazifizierung in der amerikanischen Zone, die mit einer gewissen Zeitverzögerung auch in den beiden anderen Westzonen angewendet wurde, erfolgte vor Spruchkammern.
Die Spruchkammern, deren es insgesamt über 545 in der US-Zone gab, waren Laiengerichte mit öffentlichen Klägern. Oberste deutsche Instanz waren die Befreiungsministerien der Länder Bayern, Württemberg-Baden, Hessen und Bremen, beaufsichtigt wurde die Entnazifizierung von der amerikanischen Militärregierung. Jeder Fall war individuell zu würdigen. Ein bißchen Entlastung brachte die Jugendamnestie vom August 1946, die ab Jahrgang 1919 galt, und die Weihnachtsamnestie von 1946, die Kriegsbeschädigte und sozial Schwache begünstigte. Für die Spruchkammern blieben 930 000 Einzelfälle übrig.
Der Elan, die Reste des Nationalsozialismus zu beseitigen, die politische Säuberung zu vollziehen, war spätestens ab Frühjahr 1948 verschwunden. Die Besatzungsmacht lockerte die Kontrollen, und um die Sache abzuschließen, wurden sogar Schnellverfahren eingerichtet. Im Zeichen des Kalten Krieges hatte sich der Straf- und Diskriminierungsgedanke verflüchtigt. Und davon profitierten nicht wenige Belastete, die glimpflicher davonkamen als die minder schweren Fälle, die zu Beginn der Entnazifizierung behandelt worden waren. Ein anderer Vorwurf richtete sich gegen das grassierende Denunziantentum und gegen Korruption, Scheinheiligkeit und die Jagd nach "Persilscheinen" (das waren Bestätigungen von Unbelasteten, mit denen ehemalige NSDAP-Mitglieder ihre Harmlosigkeit dokumentieren wollten). Schließlich war die Spruchkammer als Instanz zur Gesinnungsprüfung - vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus gesehen - ein zweifelhaftes Instrument.
General Clay, der amerikanische Militärgouverneur, der einer der Protagonisten des Säuberungsgedankens gewesen war, begründete im Rückblick den Abbruch der Unternehmung mit einem Argument, das nicht weniger einleuchtend war als der Gedanke der politischen Säuberung: "Hätten die nominellen Parteimitglieder nicht ihre vollen bürgerlichen Rechte und die Möglichkeit zurückerhalten, wieder ein normales Leben zu führen, dann hätte sich bestimmt früher oder später ein ernsthafter politischer Unruheherd entwickelt."

Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de


 
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